Auf der Heide

[887] Georg saß am Herde, hielt sein Kind in den Händen und sah unverwandt auf das kleine Gesicht. »Das erste Lachen soll die Mutter sehen«, rief er freudig und legte den Knaben schnell in Annas Arme.

»Wie soll es mit der Taufe werden, lieber Herr?«

»Sobald die Frau Fähnrich Gäste vertragen kann.«[887]

»Ich denke, wir laden die Gevattern«, riet Anna. »Zuerst den Vater, dann die Hauptmännin –«

»Der dritte muß Henner sein«, fiel Georg ein, »denn als er neulich heranritt, dich zu grüßen, forderte er dies Amt als sein Recht, weil wir doch von den Vätern her Landsleute wären und er, wenn es mit rechten Dingen zuginge, der Oberherr unseres Knaben; dabei kam er wieder mit seinem alten Unsinn.«

Anna nickte. »Die größte Sorge ist in dieser Wildnis der geistliche Herr. Doch die Taufe wird heilkräftig durch jeden Geweihten.«

»Dann also fahre ich mit dem Schlitten aus und suche einen Priester«, beschloß Georg.

Durch Henner selbst wurden die Gatten dieser Verlegenheit enthoben. An einem der nächsten Tage schalt die Stimme Henners im Hofe. Er hielt zu Pferde neben einem Bauernschlitten, auf welchem unter Stroh und Decken ein hilfloser Kranker lag. »Dies Ungeheuer fand ich beim nächsten Dorfe geduckt in einer alten Weide und auf dem Wege, zu erfrieren. Da gerade die Kirchglocke läutete und heut Sonntag ist, tat ich ein übriges und warf es einem vorüberfahrenden Bauern auf den Schlitten. Wollt ihr es wieder lebendig machen, so steht das bei euch. Jedenfalls schneide ich ihm ein Ohr ab, das habe ich allen Brüdern seiner Art zugeschworen, denn es ist ein Mönch.«

Georg beugte sich über den Korb und erkannte erstaunt die entstellten Züge des Bruder Pankratius aus Thorn. Der Arme wurde in die Turmstube getragen und dort mit Mühe wieder zu Sinnen gebracht, so daß er seine Glieder regen und den Trank, welchen Anna ihm bot, einnehmen konnte. Unterdes saß Henner dem Kranken, welcher die frühere Wohlhäbigkeit gänzlich verloren hatte, feindselig gegenüber und enthielt sich nicht, ihn zu höhnen: »Ich kenne diesen Gesellen, er trug seine Kutte so stolz wie ein Freiherr und am Handgelenk einen Rosenkranz von roten Korallen, den ihm sicher ein frommes Beichtkind geschenkt hatte, und er spielte mit dem Kreuze, das daran hing. Er hatte auch einen Bisamapfel von Silber in der Tasche, aus dem ein Wohlgeruch kam, und wenn der Apfel duftete und der Mönch die Augen verdrehte, dann fielen die Weiblein nur so vor seine Füße. Wo blieb der Wohlgeruch, Bösewicht? Du riechst mir jetzt sehr nach armen Leuten; und wo blieb der silberne Ohrlöffel, den du vordem in der Hand schwenktest?«

»Ich war in den Händen Eurer Gesellen«, seufzte der Mönch.

»Haben diese dir den Sack ausgefegt, so haben sie ein gutes Werk getan, hoffe deshalb bei mir nicht auf Erbarmen.«

»Schweigt mit den wilden Worten, Junker, und schont den Unglücklichen«, mahnte Anna unwillig.

»Ihr mögt gut reden. Ich aber habe eine alte Rechnung mit[888] seinesgleichen. Denn sie sind schuld, daß ich als armer Reiter im Stegreif traben muß, was mir bei meiner Wiege nicht gesungen wurde. Wißt, junge Frau, ich wuchs auf als Erbe eines alten Oheims, der guten Anteil an Burgen und Mühlen hatte. Da dieser kränklich wurde, riet ihm der Böse, nach Thorn zu ziehen. Dort schlichen die Brüder dieses Gesellen an sein Lager und erboten sich zu allem Guten unter dem Vorwande, daß ihre Regel ihnen die Pflicht auflege, Bedrängte aufzusuchen. So nisteten sie sich in seinem Hause ein. Dazwischen klagten sie viel über das Elend der Welt, über die große Not ihrer Brüder, und sie beschrieben ihre Armut, die sie täglich ertrugen, und ihre strenge Regel mit vielem Fasten und langem Chorsingen. Dann lobten sie ihm die Privilegien und hohen Freiheiten ihres Ordens, die zahllosen Messen, welche jedem im Himmel gutgeschrieben werden, welcher dem Orden Gutes tut, auch zählten sie die frommen Bruderschaften auf, an denen sie nach dem Gebot des Papstes Anteil haben, und sie rühmten sich vieler frommer Kinder und Brüder, die so streng gegen sich selbst leben, daß sie gar wenig essen und trinken, und daß ihre Frömmigkeit im Himmel jedem andern zugute kommt, der in die Bruderschaft tritt. So verlockten sie den kranken Mann, daß er ihrem Orden sein Hab und Gut übermachte, und ich ging nach seinem Tode leer aus. Ich hatte eine Jungfer von Herzen lieb; dem Erben hätte der stolze Vater sie bewilligt, den armen Kalmäuser wies er zum Tor hinaus. Dadurch bin ich geworden, was ich jetzt bin, ein Heimatloser, der von heut auf morgen lebt.« Er stützte sich finster auf den Tisch.

»Ihr aber, Bruder«, fragte Georg, »was scheuchte Euch in dieser Jahreszeit aus dem Kloster?«

»Seit dem Scheiterhaufen, der Euch schädlich wurde, ist von St. Nikolaus der Friede gewichen«, klagte der Mönch. »Die Bürger mögen uns nicht mehr leiden, und kaum trauen wir uns auf die Straße; einige von uns sind ganz ausgelaufen, und wir übrigen leben in Furcht. Mich sandte der Prior nach Elbing; auf dem Wege wurden wir von Reitern überfallen, aus dem Schlitten geworfen und geplündert, die Räuber ließen mich nach harten Stößen frei, doch in dem Schnee schwand mir die Kraft, und ich war meiner letzten Stunde gewärtig.« Henner lachte verächtlich.

Zu diesem trat Anna, das schlummernde Kind in den Armen haltend, verneigte sich und begann herzlich: »Gestrenger Junker, für meinen Hausherrn und für mich erbitte ich als werte Gunst, daß Ihr es nicht verschmäht, das Amt eines Gevatters bei unserm Knaben zu übernehmen. Denn ich hoffe, der Priester ist gefunden.« Das umwölkte Gesicht Henners wurde freundlicher, er erhob sich und nahm die Stelle mit geziemenden Worten an.

Anna aber blieb stehen und sah flehend zu ihm auf. »Da wir wünschen, daß Bruder Pankratius den Kleinen zum Christen weiht,[889] so bitte ich, daß Ihr der Gevatterschaft zu Ehren den Bruder mit Eurer Rache verschont.«

»Ihr wollt mich fangen, junge Frau«, versetzte Henner zwischen Unwillen und Lachen. »Ich sehe wohl, ich bin Euch einen Gevatterdienst schuldig; aber wenigstens ein Ohrläppchen muß er hergeben.«

Doch auch dies wurde dem rauhen Gesellen in den nächsten Tagen abgehandelt. Auf die Einladung seiner Kinder kam der Magister unter sicherem Geleit, er segnete gerührt den Enkel und nannte ihn einen Romulus, der, obgleich von Geburt ein Königssohn, unter die Wölfe ausgesetzt sei. Und der Bruder, welcher sich in guter Pflege wieder erholt hatte, vollzog die Taufe. Als dieser am nächsten Tage mit neuem Lebensmut unter dem Schutze eines sicheren Knechtes wegziehen sollte, nahm er von Anna wehmütigen Abschied. »Ich habe dem Bruder Gregorius vor dem Scheiterhaufen die Büchlein zugereicht, und jetzt danke ich Euch Leben und Gesundheit! Vielleicht schaffen die Heiligen, daß ich Euch wieder einen Dienst erweise.« Draußen aber winkte er Georg zur Seite und begann mit hohem Ernst: »Nehmt als Dank für Eure Gutherzigkeit eine Warnung: Euer Feind, der bisher krank im Kloster lag, ist endlich genesen und ist nach dieser Gegend zu dem polnischen Kastellan Pan Stibor aufgebrochen, um an Euch seine Rache zu nehmen, denn damit hat er Euch oft bedroht. Wisset, es ist ein Anschlag gemacht, entweder gegen Euch allein oder auch gegen Eure ganze Gesellschaft. Denn da ich um die Pflege des Kranken zu sorgen hatte, hörte ich etwas weniges von den Reden des Polen mit Herrn Hutfeld Bürgermeister, welcher jetzt Burggraf werden soll, weil den alten Herrn Friedewald der Schlag getroffen hat. Die beiden waren in Unruhe wegen Eures Fähnleins und überlegten, ob es von den Unzufriedenen einmal in unsere Landschaft geladen werden könnte. Darum traut dem Stillstande nicht und wahret Euch selbst, Euer liebes Weib und Kind vor Eurem Todfeinde.«

Aufgeschreckt durch die Nachricht, wollte Georg mehr erfahren, aber der Mönch verweigerte weitere Rede. »Das andere ist Geheimnis des Ordens, die Heiligen mögen mir verzeihen, wenn ich Euch schon zuviel gesagt habe.«

Diese Warnung des Mönches erhielt noch an demselben Tag von anderer Seite Bestätigung.

Der Wächter verkündete Gäste aus der Umgegend des Polenlagers. In den Schloßhof traten drei ausgewetterte Gesellen, über den geschlitzten Landsknechtshosen, deren bunte Farbe durch Wetter und Lager unscheinbar geworden war, trugen sie kurze Pelze, an den Beinen hohe Stiefel, und jeder von ihnen führte eine der Landsknechtwaffen: Spieß, Hellebarde oder Feuerrohr, woraus Hans schon von weitem erkannte, daß sie sich nicht zufällig zusammengefunden[890] hatten, sondern als Erwählte ihres Haufens gekommen waren. Er richtete sich deshalb hoch auf und begrüßte sie am Tore mit größerer Förmlichkeit, als sonst Brauch war. »Seid willkommen, Hauptmann und gute Gesellen. Ob ihr einen Auftrag auszurichten habt oder nur als gute Nachbarn kommt, des letzten Zwistes soll nicht gedacht werden.«

Da Hauptmann Heinzelmann, ein hagerer Alter mit schlauem Gesicht, vorsichtig erklärte, daß sie im Auftrage kämen, so ließ Hans den Trommler anschlagen und die Führer und Doppelsöldner zum Rate laden. Als der Kreis geschlossen war, begann der fremde Führer: »Nehmt unsere Botschaft, ihr Landsleute, im guten auf, wie wir sie bringen. Wir haben lange einander gegenübergelegen ohne scharfen Gruß und haben uns als Nachbarn vertragen. Beide sitzen wir geldlos mit Vertröstung und dürfen fragen, wieweit wir den Herren, die uns geworben haben und nicht bezahlen, zu Dienste sein wollen, und wir haben gefunden, daß wir ihnen geringen Dienst schuldig sind, um geringen Lohn.« Er hielt an, die Knechte nickten ihre Beistimmung, und Hans bestätigte: »Es ist so, wie Ihr sagt. Ich hoffe, ihr habt uns treu gefunden, und auch wir wollen heut nicht Ursache suchen, über euch zu klagen.«

Der fremde Redner billigte die Worte mit höflichem Lächeln und fuhr fort: »Dieselbe Treue denken wir euch jetzt zu erweisen, wo der Mond wechselt und das Wetter sich ändern will. Nämlich, uns ist die Kunde zugegangen, daß Pan Stibor und seine Edelleute einen Wagen mit Geld heranfahren, und um gutes Geld eine Verschärfung unseres Gelübdes und unserer Arbeit fordern werden. Ihr Plan geht, wie wir meinen, gegen euch und den Garten, den ihr besetzt haltet. Da wir uns nun lieber mit euch vertragen, als gegen euch schlagen, so fragen wir euch im guten und in treuer Gesinnung, ob ihr von dieser Burg weichen wollt und uns das Land räumen, damit wir es ohne Blutvergießen behaupten. Ihr wißt, wir sind im Vorteil, dennoch bieten wir euch mit eurer Habe, mit Weib und Kind, mit Karren und Pferden freien Abzug.«

Ein Gesumm und Gemurr erhob sich im Kreise, und Hans antwortete: »Wir haben vernommen, was Ihr gesprochen; Ihr wißt, daß Brauch der Knechte ist, allein untereinander zu beraten, wenn nicht einmal, dann zweimal. Ich ersuche Euch also, daß ihr so lange aus der Runde weicht.« Er winkte einem der Rottenführer, welcher die Fremden zur Seite wies. Nach kurzer Beratung wurden sie wieder in den Ring geleitet und Hans sprach: »Günstige Gesellen, wir bedanken uns für eure Erinnerung und bitten, daß ihr euch nicht beschwert haltet, wenn wir euren Vorschlag nicht annehmen. Wir haben an unsern Brotherrn eine Forderung von Sold und Reisekosten, welche groß ist, wir können unser sauer verdientes Geld nicht im Stiche lassen; und ihr würdet ebenso handeln.«[891]

Hauptmann Heinzelmann, der auf diese Antwort vorbereitet war, versetzte: »Wir verstehen wohl, daß ihr eures Beutels gedenkt, obwohl euer Brotherr schwerlich imstande sein wird, jemals nur einen Teil eures Soldes zu zahlen. Dennoch wollen wir euch noch weitere Kameradschaft erweisen und wollen den Pan Stibor drängen, daß er euch ein Drittel eurer Forderung zahlt und freie Zehrung auswirkt bis an die Grenze der polnischen Herrschaft, wenn ihr auf dem kürzesten Wege ohne Rasttage hindurchziehen wollt. Ihr aber bedenkt, daß der Sperling in der Hand auch etwas wert ist, zumal wenn man ihn ohne eigene Gefahr erfassen kann.« Er trat zum zweiten Male aus dem Kreise. Diesmal dauerte die Beratung länger, und mehrere Stimmen mahnten ernsthaft, daß man das Drittel nehme.

Georg stand im Ringe, die fliegende Fahne in der Rechten. Als die Knechte über den Abzug verhandelten, schlug er schweigend das Fahnentuch zusammen und steckte die Fahne verkehrt in den Boden. Da erhob sich lautes Geschrei, und Hans begann erschrocken: »Was tut Ihr, Fähnrich, daß Ihr die Fahne bergt wie vor Missetätern?«

Georg antwortete: »Liebe Gesellen, ihr fragt, was eurem Säckel frommt; mich aber habt ihr dazu gesetzt, daß ich die Ehre der Bruderschaft wahre, und da ich Worte höre, welche zu Meineid und Verrat an unserm Kriegsherrn führen, so behüte ich die Fahne und berge das Tuch, denn ihr wißt, daß es nicht über eure Schande wehen darf.« Wieder erhob sich lautes Geschrei, und einzelne griffen zornig nach den Waffen, aber Hans entschied mit starker Stimme: »Er übt sein Recht, und wir dürfen es ihm nicht wehren. Dennoch mahne ich Euch, Fähnrich, daß Ihr den Sinn der Brüder nicht mehr beschwert, denn noch ist nichts abgemacht.«

»Beschließt, Euch als fromme Knechte zu halten«, rief Georg, »dann werfe ich das Tuch in den Wind über ehrliche Leute.«

Darauf sprach Benz Streitenberg: »Vernehmet den Rat eines Alten. Daß der Stibor uns einiges Geld hinlegt, das können wir bewirken, wenn wir die Stadt preisgeben; aber wir können nicht hoffen, daß wir es in das Reich bringen. Denn sobald wir das Geld des Polen nehmen, verlieren wir die Fahne und den Schutz des Hochmeisters, und ohne Fahne sind wir ein armer Schwarm von Flüchtigen, welche des Befehls und der Ordnung entbehren. Wie wollen die einzelnen mit dem Troß unversehrt aus diesem Lande sich retten? Der gerade Weg hinaus führt drei Tagereisen durch ödes Heideland. Wer soll dort die hungrigen Mäuler verpflegen? Und das Geld in den Taschen wird uns Wegemüden von den polnischen Strauchdieben bald abgejagt werden.«

Dieser Meinung waren auch andere, es erhob sich lautes Geschrei und Getümmel und dazwischen der Ruf: »Stellt die Frage und hebt die Hände, damit wir nicht weiter beraten in Schande.« Als nun[892] Hans fragte, erhob eine große Mehrzahl die Hand für Ablehnen, und Georg lachte und rief, das Tuch entfaltend: »Ich bedanke mich bei euch, Hauptmann und Gesellen.«

Als die Fremden wieder in den Kreis geführt wurden, sprach Hans feierlich: »Mein Volk muß ablehnen, was ihr geboten, um der Fahne und des Eides willen; wir aber sagen euch Dank und bitten, daß ihr nicht für ungut nehmt, was wir nicht mit leichtem Herzen beschlossen haben.«

Die fremden Landsknechte vernahmen den Entscheid ohne Verwunderung, und der Sprecher sagte nur: »Bestätigt auch ihr, daß wir euch, soweit wir vermochten, gute Nachbarschaft gehalten haben.«

»Das tun wir«, riefen die Knechte, und Hans gebot: »Geschlossen ist der Rat und geöffnet der Ring, euch aber bitte ich, daß ihr als unsere Nachbarn einen Trunk nicht verschmäht.«

Die Boten waren der Einladung nicht abgeneigt, und der Haufen geleitete sie in die Halle; ein Faß wurde herangeschleift und starkes Zechen begann. In heller Fröhlichkeit und mit hochroten Wangen tranken die Parteien einander zu auf gutes Glück und treue Nachbarschaft, am lautesten die Heimischen, weil sie eine Sorge im Herzen bargen. Der fremde Hauptmann lobte die feste Mauer und das Schloß und begann scherzend: »Wenn ja das Schicksal wollte daß wir noch einmal gegeneinander schlagen müßten, so wird euch der Vorteil der Mauern und des Grabens nötig sein, damit ihr die starken Fäuste meiner Knechte abwehrt. Denn obwohl wir an Zahl ziemlich gleich sind, so meinen unsere Gesellen doch, daß ihr im freien Felde euch niemals gegen uns wagen werdet.«

Da erwiderte Hans, gehoben vom Trunke: »Wir begehren gegen euch keinerlei Vorteil der Mauer und des Grabens; auch in gleichem Kampfe trauen wir euch obzusiegen nach unseres Ordens Brauch auf offener Heide, im gevierten Haufen, wann und wie ihr den Kampf begehrt.« Und seine Genossen riefen stürmisch die Bestätigung. Der Fremde aber sprach mit lauter Stimme: »Wenn sein müßte, was wir nicht begehren, soll alsdann das Wort gelten, ihr frommen Knechte?« Alle schrien: »Ja«, Hans schlug ein, daß es schallte und setzte lachend hinzu: »Wenn es sein muß.« Auch der andere lachte.

Erst gegen Abend brachen die Gäste auf.

Hans, der die Fremden bis zum Kreuz geleitet hatte, kehrte nachdenkend ins Lager zurück; am Tore erwartete ihn Georg: »Sie werden den Kampf fordern, Hauptmann.«

»Ich denke nicht«, versetzte Hans unsicher. »Sie werden sich ungern Schläge holen; sie wissen auch, daß wir kahl sind und daß sie bei uns nur geringe Beute finden.«

Als Georg am Abend in seine Behausung zurückkehrte, betrat er vorsichtiger als sonst die Frauenstube. Es war still darin, kein Gruß[893] empfing ihn, er vernahm nur leise Atemzüge. Mutter und Kind lagen in friedlichem Schlaf, der Kleine näher der Wand, durch Betten gegen den kalten Zug aus den Steinen geschützt, die Mutter vor ihm, noch im Schlaf mit ihrem Leibe seine Schützerin. Der Vater stand lange versunken in den Anblick des liebsten Lebens, welches in zwiefacher Gestalt vor ihm lag, und sein Auge wurde feucht. »Mein alter Feind gedenkt die Rache an einem zu nehmen, noch weiß er nicht, daß er mit einem Schlage drei Leben trifft. Ob er den Fähnrich allein sucht oder auch die Fahne, in jedem Fall hat er dafür gesorgt, daß er im Vorteil ist. Ich sah den hündischen Blick des fremden Landsknechts, als unser Hauptmann den Kampf auf der Heide versprach. Ich fürchte, er hat damit auch euch, ihr beiden süßen Schläfer, den Dritten abgesprochen, der zu euch gehört. Wenn das Fähnlein auszieht und der Fähnrich den Rückweg nicht findet, was wird alsdann aus diesen? Vater im Himmel, tu mit mir, was du willst, aber rette mein Weib und Kind.« Er kniete am Lager nieder und hob in bittrer Angst die Arme nach der Höhe, bis der kleine Sohn die geballten Händchen öffnete und schrie Da erwachte die Mutter, sie lächelte glücklich, als sie das Antlitz des Gatten dicht neben dem ihren sah, und sie fand noch Zeit, den Arm um seinen Hals zu legen und ihn herzlich zu küssen, bevor sie sich zu dem Schreier wandte. Da lachte Georg wieder und sagte ihr noch halblaut Lustiges von der Gesellschaft, aus welcher er kam, bis er sich auf sein Lager an der Tür warf und das Gesicht der Fahne zuwandte, um die wilde Neuigkeit weiter zu erwägen.

Am andern Morgen rief er den Magister in die Turmstube und berichtete seinem Weibe in Gegenwart des Vaters einiges von seinen Sorgen. »Es ist ein Anschlag im Werke, sich dieses Schlosses zu bemächtigen. Obgleich der Krieg durch Stillstand geendigt ist, so hoffen die Polen doch, bei einem künftigen Frieden zu behalten, was sie jetzt in Besitz nehmen, und es ist wohl möglich, daß diesem Schlosse eine Belagerung droht. Denn wir haben die Pflicht, die Stadt und das Amt dem Hochmeister zu bewahren. Da ist mir der Gedanke unerträglich, daß euch die Unruhe umfassen könnte. Wuz zieht morgen mit einigen Knechten nach der Seite hin, wo Elbing liegt. Vermagst du mit dem Kinde bei günstigem Wetter die Schlittenfahrt zu wagen, so will ich, daß du mit dem Vater dorthin aufbrichst und in den nächsten Tagen nicht zurückkehrst, sondern dort oder wo es dem Vater am sichersten erscheint, verweilst, bis über dieses Amt und das Fähnlein entschieden ist. Denn, wie man vernimmt, ist auch im Werke, das Fähnlein zu entlassen.« Als er so sprach, suchten zwei große Augen angstvoll seine ganze Meinung zu verstehen, der Magister aber fiel ihm eifrig bei. Anna sprach nicht ja, nicht nein, sie beugte sich über das Kind, und ihre Tränen fielen auf den Kleinen herab. Georg selbst mühte sich, die Bewegung,[894] welche ihn fast übermannte, in der Geschäftigkeit zu verbergen, womit er den Aufbruch betrieb. Anna saß unterdes bleich und schweigend, das Kind im Arme, aber sie regte sich nicht, um für die Reise zu rüsten, wie Frauen pflegen. Nur des Kindes Bedarf, über dem sie im Herbste genäht, rollte sie in ein Bündel. Erst als Georg heraufkam, ihr zu sagen, daß der Schlitten seiner Ladung harre, erhob sie sich und trug ihm das Kind entgegen: »Vater, segne deinen Sohn.« Da verließ ihn die Fassung, die er bisher mühsam bewahrte. Er hielt den Knaben unter Tränen in den Armen, und sie sprach leise zu ihm: »Das Jahr ist zu Ende.« Und als er das Kind in die Hände des Großvaters legte, umschlang sie ihn mit heißer Leidenschaft und hing an seinem Halse, er aber hob sie in wildem Schmerze und trug sie nach dem Schlitten. Sie hielt die Augen starr auf ihn geheftet, bis die Pferde anzogen und der Weg ihr seinen Anblick entzog. Beide vernahmen nichts von den Grüßen und Abschiedsrufen der Männer und Weiber, welche sich um den Schlitten gesammelt hatten, denn in unsäglichem Weh und schwerer Ahnung schwanden ihnen die Gedanken.


In dem stillen Kontor des Marcus König fanden sich jetzt zahlreiche Besucher ein, doch kamen sie schwerlich als Kunden des Geschäftes. Es waren meist Zunftgenossen aus der Neustadt, sie traten vorsichtig von der Hintergasse in den Hof, und während sie in der Kammer mit dem Kaufherrn und dem Gehilfen verhandelten, hielt Dobise, über einem Frachtstück beschäftigt, an der Vordertür Wache und pochte, so oft ein störender Gast nahte. Als Marcus sich gegen Abend von seinem Sitz erhob, sagte er mit stolzem Lächeln zu seinem Vertrauten: »Die Flut steigt schnell, die Galeone von Thorn fühlt Wasser unter dem Kiel, es wird Zeit, daß wir alle Hände zuhauf rufen.«

Da meldete Dobise mit schlauem Augenzwinkern einen Fremden, der in dringendem Geschäft den Herrn allein sprechen müsse. Marcus trat eilig in den Flur, fand einen kleinen verhüllten Mann, der seinen Hut tief in die Augen gedrückt hatte, und winkte mit der Hand in die Wohnstube. Dort erst nahm der Gast den Hut ab, der Magister stand dem Kaufherrn gegenüber. Die Gestalt des Marcus hob sich wie zum Kampfe, und ohne dem andern einen gastlichen Sitz zu bieten, begann er: »Was führt den Herrn Magister in die Stadt, welche ihn gebannt hat, und was führt ihn zu dem Vater, welcher durch ihn seines Erben beraubt ist?«

Das Gesicht des Gelehrten war gerötet, und seine Stimme zitterte, als er zur Antwort gab: »Die Sorge eines Vaters zwingt mich zu Euch, auch ich habe ein Kind, welches durch Euren Sohn der Herrschaft des Vaters entzogen wurde, wahrlich ohne meinen Willen und in furchtbarer Notzeit. Als es sich für Euren Sohn und meine[895] Tochter um Ehre und Leben handelte, haben die Armen sich vermählt. Sie mußten den Segen der Eltern entbehren, aber Gott hat ihre Ehe gesegnet, ein Enkel ist Euch und mir geboren, und ich bin in die Stadt gedrungen, um Euch, hochansehnlicher Kaufherr, als dem Vater und Großvater, dies anzuzeigen und Euch zu bitten, daß Ihr durch Eure Bestimmung und durch Euren Segen die Ehe bekräftigt.«

Marcus trat zurück, und ein düsteres Licht glomm in seinen Augen. »Sendet Euch der Fähnrich Georg König?«

»Er weiß nichts von dieser Reise.«

»Weilt Eure Tochter bei ihm?«

»Ich habe sie und das Kind mit seinem Willen zu besserer Sicherheit und Pflege nach Elbing geführt.«

»Dort mögt Ihr sie von jetzt an bewahren«, versetzte Marcus, »und redlicher, als Ihr seither getan.«

Den Magister ergriff unsägliche Angst bei der abweisenden Haltung des strengen Mannes, und mit heiserer Stimme fragte er: »Wie soll ich Eure Rede deuten, Herr?«

»Daß ich als Vater dem wilden Zusammenleben feindlich bin und daß ich einer Ehe meines Sohnes mit Eurer Tochter, von der Ihr redet, Einwilligung und Segen verweigere.«

Dem Magister bewegten sich krampfhaft die Hände. »So war meine Ahnung«, murmelte er und wischte sich den Schweiß von der Stirn. Erst nach einer Weile fand er die Worte: »Obgleich ich kein großer Mann auf Erden bin, so wird mir doch schwer, mich zu demütigen; aber heut tue ich es, nicht für mich, sondern für mein armes unglückliches Kind, und ich flehe Euch herzlich und in Todesangst an, erweist uns Geschlagenen eine mildere Gesinnung, laßt meine Tochter nicht in Schimpf und Unehre vergehen, denn ich sage Euch, Herr, sie ist ein gutes Kind, und sie war der Stolz meines Lebens.«

»Auch Georg König war lange die Freude seines Vaters und dem einsamen Hause die einzige Hoffnung«, antwortete Marcus. »Wer trägt die Schuld, daß er von seinem Vater und aus der Heimat hinausgeworfen wurde in ein elendes Leben? Ihr, Herr Magister, und Euer Kind. Jahrelang habt Ihr Besuche meines Sohnes und heimliche Liebschaft in Eurem Hause geduldet; Ihr selbst habt in seine Seele Irrlehren und Unglauben gesäet, Euch zuliebe geschah es, daß er sich offen gegen die heilige Kirche empörte und der Blutrache des polnischen Königs verfiel. Und Ihr und Euer Kind habt bewirkt, daß er in wüstem Leben bei fremden Landsknechten festgehalten wurde. Durch Euch ist der Sohn dem Vater entfremdet. Mit Bitterkeit und Gram habt Ihr mein Leben erfüllt, und jetzt wagt Ihr vor mich zu treten und von mir zu fordern: Gib einen Segen, alter Mann, zu unserm Werke.«[896]

Der Magister stand wie überwältigt durch die Vorwürfe des Gegners. »Unser Vater im Himmel weiß, daß ich von der Neigung Eures Sohnes nichts geahnt habe, solange ich mit ihm zusammen war, und unser Vater im Himmel weiß auch, daß meine liebe Tochter züchtig und ehrbar in Worten und Werken gelebt hat. Was ich Eurem Sohne beigebracht habe von Lehre und Gedanken, das ist wahrhaftig in guter Gesinnung geschehen; keiner vermag anderes zu geben, als er hat, und ich habe ihm in Latein und in Lehrmeinungen überliefert, was für den Magister Fabricius der Stolz seines Lebens war. Wenn Euch das nicht gefällt, Herr, so ist dies nicht die Schuld des Lehrers, denn Ihr habt mich geworben. Wenn Ihr mir sagt, daß wir Euch den Sohn entfremdet haben, so sage ich dagegen Euch, Euer Sohn hat auch mir mein Kind entzogen. Und ich weiß, wie wehe es einem Vater tut, wenn er sein Kind einem andern überlassen soll. Dies aber ist von dem Allmächtigen selbst geordnet, daß die Kinder Vater und Mutter verlassen um der Gatten willen, und weder Ihr noch ich haben ein Recht, darüber zu zürnen, wie wehe es auch tun mag. Darum, Herr, unternehme ich, was ich noch niemals in meinem Leben getan habe, ich flehe zum zweitenmal da, wo ich einmal abgewiesen bin, nicht für mich, sondern für mein Kind. Herr, Ihr bedenkt nicht, um was es sich hier für meine Tochter Anna handelt«, rief er mit stärkerer Stimme. »Die Frage ist, ob sie vor den Leuten ein redliches Weib sein soll, oder eine Dirne. Ihr habt oft Gut und Geld gewagt, Herr, aber niemalen wart Ihr in der Lage, daß der böse Wille eines andern Euch so elend und verworfen machen konnte, wie Euer böser Wille mein liebes Kind elend und verworfen machen kann; ein gutes Kind, Herr, und wie ich Euch sagte, die Freude meines Alters. Und wahrlich, Herr, für Euer stolzes Haus wäre es ein Segen und ein Glück, wenn mein Kind als Eure Schwiegertochter darin hauste. Und ich versichere Euch, Herr, hätte ich eine Ahnung gehabt, daß Euer Sohn heimlich meine Tochter im Herzen trug, ich hätte ihn, wie wert er mir auch als Schüler geworden war, aus dem Hause gejagt auf Nimmerwiedersehn. Denn nichts ist mir in meinen Tagen nächst den Lügen der Pfaffen so verhaßt gewesen, als der Dünkel der Reichen, und niemals, Herr, habe ich die Gesellschaft Euresgleichen geliebt und gesucht, denn ich weiß wohl, wie selten Nächstenliebe und ein freundliches Herz unter den Geldsäcken gedeiht. Und darum, Herr, mahne ich Euch noch einmal und zum letzten Male, nicht mehr um meines Kindes willen, sondern um Eures Sohnes willen, damit er nicht als Schelm und Bösewicht gegen meine Tochter fortlebe, und ich mahne Euch noch einmal um Euer selbst willen, damit Euch das Unglück, das Ihr über mein Kind bringen wollt, nicht in Eurer letzten Stunde das Scheiden schwer mache.«

Marcus, dem die steigende Heftigkeit des andern seine Ruhe[897] zurückgab, antwortete ohne Härte: »Ich bin alt und denke zuweilen an meine letzte Rechnung. Der Sorge dafür enthebe ich Euch. Hat mein Sohn in dem Übermut der Jugend ein Unrecht an Eurer Tochter geübt, was ich nicht weiß, so muß er das Unrecht auf sein Leben nehmen und bei den Heiligen um Vergebung seiner Schuld werben. War es auch für Euch ein Unglück, was für mich leidvoll geworden ist, daß mein Sohn in Euer Haus kam, so bin ich bereit, Euch die Entfernung aus diesem Lande möglich zu machen, welche Ihr selbst wünschen müßt. Sagt mir, wo Ihr Euch hier verborgen aufhaltet, damit ich deshalb meinen Gehilfen zu Euch sende.«

Das gerötete Gesicht des Magisters erblich während der Rede des andern wie das eines Sterbenden. Er drückte seinen Hut in das Gesicht, rief mit heiserer Stimme: »Pfui! Sendet Euren Gehilfen in die Weichsel!« und stürzte aus dem Hause.

Unterdes ging Lips Eske, bei welchem der Magister das Versteck gefunden hatte, unruhig in seiner Kammer auf und ab und erwartete die Rückkehr des Lehrers. Als der Alte entstellt in Antlitz und Gebärde hereinwankte, erkannte der treue Knabe, daß alles gekommen war, wie er gefürchtet. Er rückte schnell dem Magister einen Sessel, der Alte hielt sich daran. »Schaffe mich fort, mein Sohn, denn der Boden dieser Stadt brennt mir unter den Füßen.«

»Ich leide nicht, daß Ihr so von mir geht«, bat Lips, und drückte den Gelehrten in den Stuhl, »hier sitzt nieder und nehmt diese Stärkung.« Er goß Wein in ein Glas und zwang den Alten, die Lippen zu befeuchten. »Und wenn Euch lästig ist, mir die Reden des harten Mannes zu wiederholen, so sollt Ihr stillsitzen; aber bleibt bei mir, Herr Vater, bis Ihr Euch erholt habt, hier seid Ihr sicherer als anderswo. Ich weiche nicht mehr von Eurer Seite, bis ich Euch wohlbehalten außerhalb des Stadtgrundes sehe.« Er setzte sich zu ihm, umfaßte die Hand des stöhnenden Alten, hielt sie fest und strich sie zuweilen mit seinen knochigen Fingern, wie ein Kind die Hand seiner lieben Mutter streichelt. Der Magister ließ sich das gefallen, und die beiden beharrten lange, ohne ein Wort zu sprechen. Endlich ermannte sich der Magister. »Du hast das Verzeichnis meiner Bücher, die ich in Verwahrung des Lischke zurückließ.«

»Ja, Herr Vater. Ich selbst bewahre den Schlüssel.«

»Gib das Verzeichnis an Hannus, er soll aus alter Gunst die Bücher hier oder in Danzig verkaufen, sich einen gebührlichen Vorteil nehmen und den übrigen Ertrag dir einhändigen.«

»Aber, Herr Vater, Eure ganze Liberei? Sie war für Euch ein Schatz.«

Der Gelehrte bestätigte durch ein Kopfnicken. »Sie ist mühsam zusammengebracht, und manches Geschenk ehrenwerter Gönner steht darunter. Aber sie muß fort, mein Sohn, und so schnell als[898] möglich. Empfängst du das Geld, so trägst du es zu dem reichen Manne, von dem ich komme, und sagst ihm: dies sei die Summe, welche der junge König dem weiland Magister Fabricius damals auszahlte, als er sein Weib Anna, geborene Fabricius, und seinen Sohn Romulus König dem erwähnten Magister zu fernerer Behütung übergab. Ob das Geld im Betrage stimmt, wird unwichtig, da es alles ist, was ich besitze.«

»Das Geld will ich übergeben; aber was bedeutet weiland, Herr Vater?«

Finster antwortete der Alte: »Der lateinische Ehrenname Fabricius ist von heute ab verloren; der Mann, welcher unrühmlich und verborgen zu leben hat, heißt fortan mit gemeinem deutschen Namen Schmieder.«

Mit Betrübnis hörte Lips den verzweifelten Beschluß. »Vertraut mir, lieber Herr Vater, was wollt Ihr jetzt tun?«

Der Magister richtete sich auf und saß stolz vor ihm wie in der Schule: »Erinnerst du dich noch an den Römer Virginius, welcher seine Tochter vor Unehre zu bewahren hatte?«

»Herr Vater«, rief Lips, erschrocken aufspringend.

»Still«, gebot der Magister, »wir sind Christen, und es war nur ein Beispiel.«


Tag auf Tag verrann, und Georg erhielt von Anna und seinem Kinde keine Nachricht. Der Tauwind erhob sich und schüttete Regenwolken über das Stromeis und die Schneehügel der Heide. Auf die starre Ruhe des Winters folgte wilde Bewegung, in zahllosen Rinnen lief das Wasser, es tilgte den Schnee, hob die Eisdecke der Bäche und wälzte die Trümmer dem Meere zu. Georg sandte Boten über Boten nach der Stadt Elbing, aber keiner brachte Kunde von seinen Lieben. Wortkarg saß er unter seinen Gesellen, täglich ging er hinaus auf die Stellen, wo im vorigen Jahre Anna gern geweilt hatte; wenn er des Abends in dem öden Turm saß, hörte er die Stimme der Gattin und den Schrei des Kleinen, aber was von den Mauern widerklang, waren nur die Seufzer seiner eigenen Brust. Unterdes kam langsam die Gefahr heran, welche er vorausgesehen. Das gute Einvernehmen mit den polnischen Landsknechten hörte plötzlich auf. In den Grenzdörfern gab es täglich Zusammenstöße, Pferde wurden gestohlen, Knechte erschlagen, entlaufene Dirnen nicht zurückgeliefert, und auf die Beschwerden, welche Hans den Nachbarn zugehen ließ, kamen abweisende Antworten und höhnende Reden. So geschah es, daß die Knechte in kurzer Zeit zornig wurden und beim Hauptmann Rache forderten und daß dieser Mühe hatte, den Ingrimm der Seinen zu bändigen. Jeden Tag erwartete Georg, daß die Feindschaft zu heller Flamme aufschlagen werde. Als er einst draußen am Walle stand, unweit des[899] wilden Rosenbusches, und an die Stunde dachte, wo er Anna in den Schlitten hob und an den Unheil ahnenden Blick, mit dem sie von ihm schied, da kam Henner durch die Pforte auf ihn zu; unsicher war der Schritt des rastlosen Gesellen und in Falten zusammengezogen sein Antlitz. »Habt Ihr Botschaft von Eurem Weibe?« fragte er mit heiserer Stimme.

»Ihr bringt die Botschaft«, schrie Georg.

»Ich ritt nach Elbing, obwohl es dort für unsereinen nicht geheuer ist, und fragte in den Herbergen des Hafens. Die Leute erzählten als Schiffernachricht, daß ein Weichselkahn umgeschlagen sei und die Fahrenden im Strome ertrunken: ein kleiner Alter, ein junges Weib und ein Kind. Ich lief zu dem Wirt, bei dem der Magister gewohnt hatte, er hielt mir den Brief eines Danziger Buchführers entgegen, den er eben erhalten, der Brief meldete dasselbe, mit dem Auftrage, Euch davon Nachricht zu geben.«

Georg stieß einen gellenden Schrei aus, daß Henner zurückfuhr, und stürzte wie ein gefällter Stamm zu Boden; er lag stöhnend und wandte das Antlitz vom Himmel ab, der Erde zu. Henner beugte sich an ihm nieder und versuchte unbehilflich Tröstendes zu sagen, aber der Liegende verstand ihn nicht und entzog ihm wild die Hand. Da setzte sich Henner schweigend neben den Geschlagenen, und während diesem der starke Leib zuckte und schauerte, schrieb er mit der Schwertscheide Totenkreuze in den Sand. Der Regen rieselte herab, er nahm seinen Mantel von den Schultern, warf ihn über den Fähnrich, setzte sich wieder auf den Stein und zeichnete von neuem viele Kreuze um sich und den andern, soweit sein Arm reichte. Als endlich ein Bube vorüberlief, ließ er den Hauptmann benachrichtigen und rief dem erschrockenen Hans zu: »Hier liegt, was von Eurem Fähnrich übrig ist; helft ihn nach dem Turm schaffen.« Sie hoben den Armen, der sie zuerst rauh abwehrte und sich dann schwerfällig wie im Traume zum Turm bewegte. Dort warf er sich auf sein Lager, das Gesicht der Wand zugekehrt, und Henner blieb neben ihm sitzen und mühte sich, den Fußboden aufs neue mit den Zeichen des Todes zu bedecken.

Als der Hauptmann am nächsten Morgen eilig eintrat, fand er einen bleichen, finstern Mann, der am Herde vor sich hinstarrte, während Henner an Stelle der Hausfrau Töpfe zum Feuer rückte. »Vermögt Ihr herauszukommen, Fähnrich, so gedenkt der Fahne«, mahnt Hans bekümmert, »es ist etwas auf dem Wege.«

»Der Pole kommt«, antwortete Georg mit rauher Stimme, »dies ist die rechte Zeit für ihn und mich.« Er legte schnell sein Schwert um, ergriff die Fahne und stieg mit seinem Gefährten die Mauer hinauf zur Stelle, wo die Wache stand, während Henner bei den Kochtöpfen zurückblieb.

Es war ein kalter Morgen, die Sonne stand gedeckt hinter einer[900] dunklen Wolkenwand, über der kahlen Heide lag der Reif. Ein einzelner Reiter bewegte sich von dem polnischen Lager langsam heran.

»Er führt einen Kurzspieß und kommt als Bote«, sagte Wuz.

»Er reitet mit steifen Beinen«, fuhr der Hauptmann fort, »daran erkennt Ihr den Landsknecht, und wenn sie auf Kamelen und Seehunden ritten, sie müßten die Beine spreizen.« Er schüttelte den Kopf. »Es ist Tiele Storch, ihr Ausrufer, diesmal hat er's nicht eilig, alte Gesellen zu begrüßen.«

Argwöhnisch umschauend, ritt der Fremde in den Schloßhof. »Treibe deinen Gaul«, rief der Hauptmann von der Mauer herab, »der Morgentrunk ist bereit.«

Aber Tiele hielt mitten im Hofe an. »Ich bringe Botschaft an Euch und Eure Gesellen, gefällt es Euch, so hört sie unter freiem Himmel, wo die Sonne scheint und die Luft weht.«

Hans sah den Fähnrich mit düsterm Blicke an. »Der Wein ist ausgetrunken, werft die Gläser gegen die Wand und kümmert Euch nicht, wohin die Scherben fallen. Kommst du als Bote, so harre, bis ich die Brüderlade.« Er hob die alte Trommel, welche unter einem schützenden Dächlein stand, die dumpfen Schläge trieben die Knechte aus den Häusern, sie eilten an das Tor und traten mit ernsten Mienen in den Kreis, der sich nach der Seite des Fremden öffnete, so daß dieser dem Hauptmann und Fähnrich gegenüberstand. Er war vom Pferde gestiegen, hielt seinen Kurzspieß verkehrt mit der Spitze nach unten, und seine lauten Worte kamen mit Anstrengung aus der Kehle. »Ich grüße den Orden der freien und wehrhaften Knechte, tragen sie Spieße oder Rohr, ich grüße den Hauptmann, und ich grüße den Fähnrich, mit Gunst oder ohne Gunst bringe ich Botschaft von meinem Hauptmann und von meiner Bruderschaft, und sie senden euch, weil es nicht anders sein kann, dies rote Zeichen, nicht zu Liebe, sondern zu Leide, und sie sagen euch ab allen Frieden und bieten euch Unfrieden.« Er warf einen großen rotgefärbten Handschuh vor dem Hauptmann nieder. »Am dritten Morgen von heute wollen sie ausziehen gegen euch mit Harnisch und Wehr von Sonnenaufgang nach Untergang, um sich mit euch zu schlagen nach Landsknechtsbrauch. Am Kreuze auf brauner Heide, wo im Sommer die Blumen blühen und im Winter der Schnee weht, wollen sie den Grund rot färben mit eurem Blut. Ihr aber, Hauptmann, bestätigt, daß ich meinen Auftrag nach Gebühr verkündet, sei er mir oder Euch lieb oder leid.«

Hans trat einen Schritt vor und gebot: »Fähnrich, hebt das Pfand auf und bewahrt's. Wir aber bieten Euch und Euren Gesellen unsern Gegengruß ohne Gunst und in heller Feindschaft, die sie durch Euch gefordert haben. Am dritten Morgen von heut ab werden auch wir ausziehen mit Harnisch und Wehr von Abend gegen Morgen, damit[901] wir euch treffen und auf brauner Heide schlagen nach Brauch freier Knechte. Euch aber bestätige ich, daß Ihr nach Gebühr abgesagt habt, wenn nicht zuliebe, dann zuleide, und die Bruderschaft verweigert Euch nicht den Botenlohn, der dem Absager gebührt als letzte Gunst. Holt einen Becher mit rotem Wein, damit er ihn trinke, abgewandt und ohne Bescheid.« Während ein Knecht den Trunk holte, standen die Männer einander schweigend gegenüber. »Ihr hattet es eilig, den Frieden aufzukündigen«, begann endlich Hans mit erheuchelter Ruhe, »ich selbst war gestern am Kreuz, aber ich sah keinen dürren Ast, der doch verabredet war als Warnung.«

Der Bote räusperte sich. »Der Pan Stibor kam erst gestern zu uns geritten, auf jeder Sattelseite einen Beutel mit Geld, er hat allen Rückstand bezahlt, doppelten Sold verheißen und ehrliche Ablohnung zum nächsten Monat, damit wir heimkehren, wenn wir vorher euch aus der Burg werfen und die Herrschaft über euren Garten in seine Hand geben.«

Hans wandte sich grimmig lächelnd zu seinen Gesellen: »Dann kommt ihr also schwer um die Hüften, mit gefüllten Taschen; meinen Knaben wird es wohltun, mit euch zu teilen. Nehmt den Becher und trinkt.«

Der Bote wandte sich ab, leerte das ansehnliche Gefäß, in dem aber nur Bier war, und goß die Neige in den Schnee. »Aus der Erde kam's, zur Erde fällt's«, sagte er, den Becher vor dem Hauptmann auf den Boden setzend.

»Aus der Erde wuchsen wir, und zur Erde sinken wir«, wiederholte Hans, das Haupt neigend, »unsern Seelen aber sei Gott gnädig. – Um die Männer haben wir gehandelt nach Brauch der gewappneten Knechte, sorgen wir jetzt um unsere Weiber und Kinder, daß sie Frieden behalten beim Sieger. Wollt Ihr einen Eid darauf geben und empfangen, damit ihr euch als ehrliche Feinde erweist? Denn ihr dient einem Fremden, der unlustig ist, unsern Brauch zu ehren.«

»Wir bieten Freiheit für die wehrlosen Weiber und Kinder, und von ihrer Habe Kochlöffel und Bett, ihr Gewand und was sie sonst unter dem Gürtel tragen.«

»Wir fordern auch Pferde und Wagen für die Unsern«, versetzte Hans, »und wir wollen sie den Euren gewähren.«

»Ihr wißt, daß dies gegen den Brauch ist«, antwortete der Bote rücksichtsvoll.

»Wir sind aber in fremdem Lande, und hundert Meilen über Heide und Schnee sind weit für kleine Füße.«

»Darf ich's nicht beeiden, so will ich doch bei meinen Brüdern dafür sprechen«, sagte der Bote.

Als der feindliche Rufer sich entfernt hatte, standen die Knechte auf ihre Wehren gelehnt und sahen bestürzt einander an.[902]

»Die Hunde verlassen sich darauf, daß sie unser Gelöbnis in der Tasche haben«, murmelte Hans.

»Was werdet Ihr tun?« fragte Georg.

»Ihnen entgegenziehen, wie wir gelobten«, versetzte Hans düster. »Die Knechte können nicht in Schande leben.«

»Müßt Ihr das Fähnlein im Freien daran wagen, so dürft Ihr doch die Hilfe des Ordens anrufen, damit Euch der Rücken gedeckt werde.«

»Den Orden?« rief Hans verächtlich, »ich sage Euch, die Junker und alle ihre Kumpane werden froh sein, wenn man uns von hier vertreibt, und sie werden sich lieber mit den Polen vertragen, als uns helfen. Die Bürger aber und das Landvolk sind so armselig und zerschlagen, daß es ihnen geringe Sorge macht, wer aus der Burg nach ihren leeren Höfen sieht. Dies ist ein Streit, der nur uns Knechte angeht. Werden wir der andern Meister, so fegen wir ihnen die Taschen und ziehen in unsere Burg zurück, werden sie die Stärkeren, so ist ganz gleich, wer nach uns in diesen Steinen gebietet.«

»Dennoch mahne ich Euch, daß Ihr die Pflicht habt, diese Stadt und Burg unserem Kriegsherrn zu bewahren. Darum bitte ich, berichtet dem Pfleger ohne Verzug durch sichere Boten von dem drohenden Zweikampf.«

»Wozu dem Pfleger eine Freude machen? Sende ich einige aus meinem Haufen, so könnten sie fehlen, wenn ich sie brauche, und wir sind um keinen zuviel.«

»Wenn niemand reiten will, so entsendet mich.«

Hans sah ihn mißtrauisch an. »Wollt Ihr von uns weichen?«

»Ich hoffe, daß Ihr das nicht im Ernste meint«, rief Georg.

»Ihr aber sollt daran denken«, entgegnete der Hauptmann, »daß der Weisel den Stock nicht verlassen darf. Reitet Ihr ohne Euer Tuch, so geht es Euch an Ehre und Hals, und nehmt Ihr den Knechten das Zeichen weg, dem sie sich gelobt haben, so wird ihr Eid null und nichtig, und sie schwärmen auseinander wie Raubbienen. Was meine Knechte hier zusammenhält, ist nur der Glaube, daß sie im Haufen vor Eurer Fahne kämpfen müssen und Euch rächen, wenn Ihr auf dem Grunde liegt.«

»Wollt Ihr niemanden aus dem Fähnlein daran wagen, so gestattet, daß ich den Henner abschicke, damit er für Burg und Stadt eine Hilfe herbeiholt.«

»Die Helfer, wenn sie kommen, könnten uns bei der Gelegenheit selbst aussperren«, antwortete mürrisch der Hauptmann. »Doch tut nach Eurem Gutdünken.«

Georg kehrte zum Turme zurück und berichtete dem Reiter, welcher ruhig über dem Frühstück saß, in Eile die neue Gefahr. Henner erhob sich: »Zum Henker mit der ganzen Bruderschaft. Sie hätten sich dreimal besonnen, bevor sie für den Hochmeister ihre Hälse[903] wagten, weil sie aber eine Bosheit gegen ihresgleichen gefaßt haben, stolpern sie wie Betrunkene in eine nutzlose Schlägerei.« Er stürzte die Blechkappe über sein Haupt. »Auch ich rate nicht, dem Pfleger zu vertrauen. Doch vernahm ich, daß der Hochmeister selbst zu einer Reise in das Deutsche Reich aufgebrochen ist und hier in der Nähe verweilt, vielleicht gelingt mir, ihn zu finden. Verlaßt Euch darauf, daß ich mein Pferd nicht schone. Tragt Euren Kummer wie ein Mann, Jörge, in drei Tagen hört Ihr von mir.« Er eilte hinaus, Georg warf sich in den Sessel, und sein Haupt sank ihm schwer auf den Herd.

Die drei Tage vergingen in stürmischer Vorbereitung. Schnelle Boten beritten die Dörfer der Umgebung und riefen die Rotten, welche dort mit ihrem Troß lagerten, nach der Stadt; die Waffen wurden gemustert, die Knechte neu eingeteilt und gezählt. Es waren noch an dreihundert Mann, welche unter die Fahne traten, und etwa ebenso stark sollte der feindliche Haufen sein. Aber die Knechte des Hans waren stolz auf größere Erfahrung im harten Kampfe.

Am Frühmorgen des dritten Tages stand Georg mit dem Hauptmann über dem Tore. Hans wies nach dem Osten, wo die Morgenröte feurig heraufstieg: »Dort oben brennt's rot genug, auf der Heide aber liegt der Reif. Noch niemalen habe ich vor einem Streite den Morgenschauer so tief im Mark gefühlt als heut.«

»Wenn unsere Knechte die Arme heben, werden sie wärmer werden«, versetzte Georg zerstreut und sah nach dem Wege, auf dem er die Rückkehr des Henner erwartete. »Er bleibt zu lange aus«, murmelte er.

»Ein Landsknecht soll sich niemals auf Pferdehufe verlassen, ist eine alte Rede«, sagte der Hauptmann.

»Wenn nicht Gewalt ihn zurückhält, so kommt er«, antwortete Georg.

»Wir aber können nicht warten, bis ihm gefällig ist, die Gesellschaft der Junker zu verlassen. Ich wollte, Fähnrich, eine, um die Ihr trauert, wäre heut hier. Sie würde einen Segen über unser Eisen sprechen.«

Er sah prüfend auf Georg. »Um Euch sorge ich nicht, obgleich Ihr zum erstenmal die Fahne im Sturme tragen sollt. Vergeßt nur nicht, sie hochzuhalten, die Spitze stracks nach vorwärts, denn auf dies Zeichen achten alle Knechte, und denkt auch daran, daß Ihr nicht in die erste Reihe gestellt seid und nicht in die zweite, sondern in die dritte, weil Ihr nicht selbst um Euch schlagen sollt, sondern das Tuch gegen den Wind halten. Nur wenn keiner mehr vor Euch steht und die fremden Fäuste nach Euch greifen, mögt Ihr die Fahne um Euch werfen und Eure Rechte gebrauchen, solange Ihr könnt.« Noch einmal sah er in die Runde und neigte sein Haupt. Dann gebot[904] er mit mannhafter Stimme: »Laß die Trommel schlagen, Wuz, damit die Knechte ihren Frühtrunk verlassen.«

Die Trommel dröhnte, und Hans achtete scharf nach dem Ton; als die Schläge in der frischen Morgenluft kräftig über den Alarmplatz klangen, sagte er zufrieden: »Sie spricht an, ihr ist der Streit gelegen.«

In der Stadt wurde es laut, Weiber und Kinder schoben die Karren aus den Torwegen und warfen die Bündel hinauf, um sich in dem Schloßhofe zu bergen. Überall ängstliche Gebärden und wilde Rufe, die Knechte rannten zum Platze und stellten sich auf, viele mit bleichen Gesichtern und verstörten Mienen. Hans aber sprach zu seiner Frau, die gleich einem Mann bewaffnet zu ihm geeilt war: »Manches Jahr bist du Hauptmann gewesen in meiner Hütte und an meinem Feuer, heut übergebe ich dir, den Weibern und Troßbuben die Wache über das Schloß«, und leiser fügte er hinzu: »Auch die Wache über die Vorräte, welche ich hier zurücklassen muß. Stelle die besten der Weiber auf das Tor, laß Steine herzutragen und achte darauf, daß der Zugang und alles übrige verschlossen bleibt.«

»Sorge nicht um uns, Johannes«, versetzte das Mannweib, »achte auf dich selber, daß du nicht gerade mit dem Hauptmann zusammenstößt, denn er hat einen alten Groll auf dich noch vom Reiche her, und verdeckte Kohlen halten lange die Glut.«

»Euch haben sie Frieden gelobt. Wenn ich nicht wiederkehre, so gebraucht eure Zungen, damit sie ihr Wort halten; denn auch ein Unbändiger scheut sich vor eurem Geschrei und Fluchen. Ich denke, Alte, daran wirst du es nicht fehlen lassen, lange Jahre hast du dich bei mir redlich geübt.« Er hob ihr das Kinn und sah ihr vertraulich in das wettergebräunte Gesicht. Sie hielt seine Hand fest, und eine Träne lief langsam über die Wange.

»Sonst war ich näher bei dir auf dem Felde«, klagte die Frau.

»Unsere Spur ist breit genug, ich denke, du wirst noch zurechtkommen. Finde ich den Rückweg nicht, so findest du den Weg zu mir; ich hoffe, die Heiligen werden sich mehr um dich kümmern als um die andern, weil du mit mir an der Kirchentür standest. Alles hat sein Gutes.« Er wandte sich ab und trat zum Haufen, dort gab er die letzten Befehle, dann hob er den Spieß, welchen er im Kampfe trug, lüftete seinen Hut und gab das Zeichen zum Aufbruch.

Langsam bewegte sich der Haufen aus dem Tore; im Schloßhof beim Trinkkruge hatten die Knechte sich für eine ansehnliche Schar gehalten, jetzt im Freien auf der weißen Decke, welche der Reif über das Land gelegt hatte, erkannten sie, wie klein ihre Zahl war, und besorgte Blicke spähten nach der Ferne, um zu erkunden, ob die Feinde in größerem Zuge entgegenkämen.

Kurz darauf sprengte ein Reitertrupp durch die Stadt, dem[905] Schlosse der Landsknechte zu, die Weiber in der Burg erkannten weiße Mäntel und das Ordenskreuz. »Öffnet«, gebot die Stimme des Pflegers an dem geschlossenen Tore. Aber über die Zinne hob sich die Frau des Hauptmanns, eine Hellebarde in der Hand. »Weicht von hinnen, wer Ihr auch seid; hier gebietet niemand als Hans Stehfest und sein Volk.«

»Öffne, alte Törin«, wiederholte der Reiter ungeduldig und stieß mit dem Schaft seiner Lanze gegen das Tor, »oder meine Buben lassen dich ihr Speerholz fühlen.«

»Kommt der Ordenspfleger, um die geworbenen Knechte zu grüßen, so soll er hinausreiten auf die Heide, wo unsere freien Knaben zum Streite ziehen. Wollt Ihr kämpfen, so rückt gegen die Polen, nicht gegen uns Weiber. Macht Euch fort, sage ich, oder mein Troß wirft Euch mit Steinen.«

Der Reiter zog sich zurück. »Sprengt die hintere Pforte«, gebot er einem Trupp Knechte. Diese führte Henner um das Schloß herum, trotz dem Widerstand der Weiber rissen sie die Pforte auf. Nach längerem Verzug und vielem Lärm gelang es, den vorderen Zugang zu öffnen. Mühsam wanden sich die Reiter durch aufgefahrene Karren des Trosses, umtobt von dem Geschrei und Geheul der Weiber und Kinder.

Mit seinen Begleitern ritt der Hochmeister in den Hof. »Besetzt die Mauern und sichert die Pforte«, befahl Herr Dietrich von Schönberg, »wir kamen noch zu rechter Zeit.«

»Wohin zog der Hauptmann mit dem Fähnlein?« fragte der Hochmeister die Alte, welche mit ihrer Hellebarde feindselig vor ihm stand.

»Den Weg zum Steinkreuze findet ein Blinder. Seid Ihr der Herr, dem die Fahne gehört, so achtet darauf, daß Hans Stehfest mit seinen Knechten nicht unter Euren Farben erschlagen werde.« Sie wandte sich finster ab, stieg auf einen Karren, ergriff die Zügel und peitschte die Pferde zum Schloßtor hinaus.

Da gebot Herr Albrecht dem Pfleger: »Sorgt mit Euren Reisigen für die Sicherheit des Schlosses«, und dem Herrn Dietrich: »Laßt ihm an Mannschaft zurück, was die Mauer bedarf, und ihr Herren folgt mir, daß wir den Bruch des Stillstands verhindern.« Aber er sah rings um sich umwölkte Gesichter und widerwillige Mienen. Herr Dietrich bat mit höfischer Ergebenheit: »Wir dürfen nicht leiden, daß mein gnädiger Herr sich mit dem schwachen Haufen in freiem Felde einem polnischen Angriff preisgebe.« Von der andern Seite drängte der Pfleger sein Pferd heran. »Nichts Besseres kann Eurer fürstlichen Gnade und dem Orden geschehen, als wenn die fremden Ratten sich untereinander auffressen.«

»Ohne Befehl und wie Meuterer sind die Schelme ausgezogen, ganz eigenmächtig und in Rachsucht«, rief ein alter Komtur. »Das[906] Schloß behaupten wir, wie mögen wir unsern Gebieter und unsere Waffen in unrühmlichem Kampfe gegen Knechte daransetzen.« Und mit Kopfnicken und Gemurmel fielen ihm andere bei. Da trieb Henner sein Pferd aus dem Kreise. »Ich bitte um Urlaub, Herr, daß ich zu dem Haufen reite, ich habe dort einen Gesellen, der zu mir gehört, und ich will ansehen, wie er im Sturm die Ordensfahne hält.«

»Nehmt mich mit, Junker«, gebot in bitterem Unwillen der Hochmeister, »wenn meine Ordensbrüder in bedächtiger Klugheit die Ehre ihres Herrn vergessen, so will ich allein dafür sorgen, daß meinem Andenken die Schande erspart bleibe.« Und er ritt hinter Henner dem Tore zu.

Da blickte Herr Dietrich finster auf seine Kumpane und jagte mit einem Teil der Weißmäntel dem Herrn nach.

Gerade als sie aus den engen Gassen der Stadt ins Freie kamen, fuhr im gestreckten Lauf ein Schwarm polnischer Reiter ihnen entgegen. Die Polen stutzten und warfen sich seitwärts auf das Feld, dort hielten sie an, und ihre Führer berieten, endlich ritt ein einzelner Reiter auf die Ordensbrüder zu. Herr Dietrich löste sich aus dem Trupp und rief dem Fremden entgegen: »Ihr kommt zu spät, Kastellan, wenn Ihr ein Gastlager im Schlosse sucht; der Hausherr hat den Schlüssel abgezogen und bewahrt ihn an seiner Schwertseite.«

Aber Pan Stibor schwenkte lachend die Hand zum Gruße: »Dennoch komm ich nicht zu spät, Seine fürstliche Gnaden zu begrüßen und meine Landsleute zu entschuldigen. Denn nicht wir Polen sind darüber her, den Frieden zu brechen, sondern die fremden Knechte, welche untereinander in Zwist geraten sind und jetzt auf der Heide zusammen schlagen.«

»Wollt Ihr deshalb mit meinem gnädigsten Herrn verhandeln, so seid Ihr in unsern Reihen willkommen«, rief Herr Dietrich dagegen, »Ihr mögt uns helfen, den Streit zu hindern. Euren Haufen aber ersuche ich aus unsern Feldern heimzusenden, denn Ihr seht, Pan Stibor, wir sind hier die Stärkeren.« Der Pole überlegte, dann rief er einen Befehl zurück, der polnische Haufe stob von dannen, er selbst kam mit höflichem Gruß auf den Hochmeister zu.

Unterdes bewegte sich das Fähnlein der Knechte langsam nach der Stätte, wo auf öder Heide ein verwittertes Steinkreuz ragte. Die Gesichter der Wilden waren fahl, aber in den düstern Zügen lag mürrische Entschlossenheit. Georg trug die Fahne mit gehobenem Haupte, gleichgültig wie ein Traumwandler gegen alles, was um ihn vorging, denn immer schwebten zwei körperlose Gestalten vor seinem Auge, ein Weib und ein Kind, und kein Gedanke wurde in ihm lebendig als der eine, daß er auf dem Wege sei, sie[907] wiederzufinden. Zur Seite sah er das Kreuz zwischen erstorbenen Distelstauden, und einen krächzenden Raben, welcher auf dem Kreuze saß, und er lächelte über den Vogel. Der Hauptmann rief Halt, denn wenige hundert Schritte vor ihm brach der feindliche Haufe aus einem Kieferngehölz. Auch dieser hielt. »Wir haben sie«, rief Hans mit starker Stimme über seine Schar, »dringt gegen sie und stecht in ihre vollen Taschen.« Ein wilder Schrei folgte der Mahnung, und von drüben antwortete ein gleicher Ruf. Der Trommler schlug, die Führer sprangen vor und ordneten ihre Rotten zu viereckigem Schlachthaufen; mitten auf der Seite, die dem Feinde zugekehrt war, hielt Georg die Fahne, umgeben von den stärksten Knechten, welche riesige Schlachtschwerter führten. Vor die Spießträger traten in gelöster Ordnung die Knechte mit Feuerrohr, um den feindlichen Haufen für den Einbruch zu lockern. Umständlich wurde die Schlachtordnung von beiden Teilen geformt. Endlich dröhnte die große Trommel zum zweitenmal, der ganze Haufen fiel auf die Knie, jeder der Knechte sprach mit gehobener Waffe ein stilles Gebet und warf, um sich für den Tod zu weihen, eine Handvoll Erde hinter sich. Als Hans aufstand, gab er dem Fähnrich das Zeichen. Da schwenkte Georg das Fahnentuch in der Luft und rief den alten Schlachtenruf der Knechte: »Wohl über sie, Herr«, und »Über sie, Herr«, schrie der Haufe nach. Von drüben klang derselbe Schrei, und langsam, mit schwerem Tritt, rückten die Fähnlein aufeinander zu, so daß beide in Schußweite hielten; die Schützen stützten sich auf ein Knie, bliesen das Zündkraut an, und die ersten Schüsse krachten aus den schweren Rohren. Aber nicht lange ertrug die grimmige Ungeduld das tatlose Harren, nach jeder Kugel, welche traf, tönte der Kriegsruf wilder aus den heiseren Kehlen. Die dichte Masse bewegte sich und drückte, bis der Hauptmann erkannte, daß der Augenblick gekommen sei; der Trommler schlug zum dritten Male in schnellem Sturmschlag, die Schützen liefen zur Seite, die Spießträger senkten die Waffen, und die Haufen brachen zum Sturm gegeneinander vor.

In dem Augenblick regte sich's hinter den Feinden am Holz, ein Schwarm berittener Polen trabte aus dem Walde und stellte sich zur Seite auf, den Reitern folgte fremdes Fußvolk, welches als Rückhalt für die Landsknechte den Waldrand besetzte. An der Spitze der Reiter meinte Georg seinen Feind Pietrowski zu erkennen. Hans aber stieß einen schweren Fluch aus: »Die ehrlosen, meineidigen Schufte!« Denn er verstand wohl, daß gerade in der Entscheidung seinem Haufen die Kraft des Stoßes zerbrochen wurde, und er schrie mit mächtiger Stimme zurück: »Drauf und dran.« Da stießen die Haufen zusammen, die Spieße krachten, Todwunde fielen, mit wildem Geschrei rückten und drängten die beiden zusammengeschobenen Massen gegeneinander, treibend und weichend,[908] gleich zwei wütenden Stieren, deren Hörner sich nicht mehr zu lösen vermögen. Aber nur kurze Zeit behielt der Haufe des Hans Stehfest seine Stärke; an den scharfen Ecken, wo Wuz und Benz den Befehl hatten, vermochte ihr gutes Beispiel nicht zu verhindern, daß in der Sorge um die neue Gefahr die Kraft erlahmte. Dort begann die Flucht; nicht lange, und nur in der Mitte, wo der Hauptmann und der Fähnrich trieben, hielt noch ein Knäuel zusammen. Vor der Fahne lag eine Reihe der alten Doppelsöldner am Boden, und von den Starken mit den Schlachtschwertern sprang einer nach dem andern vor die Fahne, zerschlug Spieße und warf sich gegen die Leiber der Feinde; und einer nach dem andern wurde erstochen. Der letzte war Peter Meffert, wütend hieb er um sich, und sein Schwert traf den Heinzelmann, daß dieser in die Arme seiner Nachbarn sank. Als der Wilde zurücksprang, sah er seinen Hauptmann am Boden, den Haufen zerstreut und den Fähnrich, der, nur noch von wenigen Knechten umgeben, in der Linken die Fahne hielt und in der Rechten den geschwungenen Degen. Da schrie der Landsknecht: »Der letzte Streich sei für mich und die Rache«, und sich zur Flucht wendend, schlug er mit dem furchtbaren Schwerte gegen den Arm des Fähnrichs, daß diesem die Hand mit der Waffe zu Boden fiel und der Verstümmelte auf die Fahne hinsank.

Vom Walde flogen die polnischen Reiter heran, und ihr Führer senkte mit brennenden Augen die Lanze, um den Wunden auf dem Fahnentuch zu durchbohren. Aber von der Seite rief eine Stimme: »Hierher, du Henkersknecht, daß ich dir die adlige Feder ausraufe«, und Henner stürmte mit seinem Rennspieß gegen den Polen. Er stach ihn im Nu durch die Gurgel und vom Pferde, doch er selber stürzte gleich darauf, von einem polnischen Streitkolben getroffen, neben Georg auf die Heide. »Armer Henner«, seufzte Georg.

»Gehab dich nicht weinerlich, Jörge«, antwortete Henner leise, und ein Lächeln flog über sein entstelltes Gesicht. »Jetzt liegen zwei beieinander, die zusammengehören; ich aber hab dir meine Treue bewiesen als ein deutscher Edelmann.« Er zuckte, dann lag er still.

Unterdes dröhnte auf dem Felde der Hufschlag eines geschlossenen Reitertrupps, die Verfolger wichen zurück, da, wo der Fähnrich und die Fahne lagen, umschlossen die Reiter im Kreise den Hochmeister. Aber Albrecht stieg ab, beugte sich über den toten Henner, sprach herzlich zu Georg und übergab ihn der Pflege eines Arztes in seinem Gefolge. Und zu seinem Vertrauten gewandt, setzte er traurig hinzu: »Der Hochmeister kam zu spät, weil seinen Ordensbrüdern der Ritt nicht behagte; jeder Landesherr, der mit angeborenem Recht seinen Leuten gebietet, hätte williger Gehorsam gefunden.«[909]

Der kurze Tag ging zu Ende, bewaffnete Ordensleute schützten die Stätte des Kampfes vor Raubtieren mit menschlichem Antlitz und vor den hungrigen Wölfen, während die Weiber des Trosses mit lauter Klage die Wunden und Getöteten auf ihre Karren luden. Da saß am Steinkreuz unter den Disteln eine alte Frau; über den Leib des starken Hans gebeugt, hielt sie sein Haupt in ihrem Schoße; sie saß unbeweglich und ohne Tränen, nur zuweilen strich sie mit ihren Händen sein graues Haar. Um sie flatterte und krächzte der Rabe, und über die Heide brauste mit mächtiger Stimme der Wind: Aus der Erde wuchset ihr, zur Erde sinket ihr.

Quelle:
Gustav Freytag: Die Ahnen. München 1953, S. 887-910.
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