Seiner Hoheit


Ernst II.

Herzoge zu Sachsen-Coburg-Gotha


Es war ein lachender Maiabend auf dem Kalenberg. Oben um das Schloß blühte und duftete der Frühling und die Blätter der roten Akazie warfen gezackte Schatten auf den tauigen Rasen. Unten im Dunkel des Tals sprangen die zahmen Rehe aus dem Gehölz und schauten begehrlich nach der hellen Gestalt der Herrin, welche den holden Segen des Gastrechts jedem erteilt, der in den Bannkreis des Schlosses tritt, dem Menschen, wie dem Vogel und dem Wild. Die Ruhe des Abends lag auf Hügel und Tal, nur aus weiter Entfernung klang zuweilen das Rollen des Donners in die lichtvolle, glückliche Landschaft. An diesem Abend sah Eure Hoheit, an die Steine der alten Schloßmauer gelehnt, sorgenvoll über die fruchtbaren Felder hinein in die dämmrige Ferne. Was mein edler Fürst damals sprach: über die Verwirrung der letzten Jahre, über die Mutlosigkeit und müde Abspannung der Nation, und über den Beruf des Dichters, der gerade in solcher Zeit dem Volke einen Spiegel seiner Tüchtigkeit vorhalten solle zur Freude und Erhebung, – das waren goldene Worte, in denen sich ein großer Sinn und ein warmes Herz offenbarten und sie werden lange nachklingen in dem Herzen des Hörers. Seit diesem Abend habe ich den Wunsch, mit Eurer Hoheit Namen das Buch zu schmücken, dessen Plan ich damals mit mir herumtrug.

Fast zwei Jahre sind seitdem vergangen, ein furchtbarer Krieg ist entbrannt, und mit finstrer Sorge sieht der Deutsche in die Zukunft seines Vaterlandes.

In solcher Zeit, wo die stärksten politischen Leidenschaften in das Leben jedes einzelnen dringen, weicht die heitere Ruhe, welche der Schaffende zur künstlerischen Gestaltung braucht, leicht von seinem Arbeitstisch. Ach! sie hat dem deutschen Dichter seit lange gefehlt. Nur zu sehr fehlt das Behagen am fremden und eigenen Leben, die Sicherheit fehlt und der frohe Stolz, mit welchem die Schriftsteller anderer Sprachen auf die Vergangenheit und Gegenwart ihres Volkes blicken; im Überfluß aber hat der[9] Deutsche Demütigungen, unerfüllte Wünsche und eifrigen Zorn. Wer in solcher Zeit Poetisches gestaltet, dem fließt nicht die freie Liebe allein, auch der Haß fließt leicht aus dem schreibenden Rohr, leicht tritt an die Stelle einer dichterischen Idee die praktische Tendenz und statt freier Laune findet der Leser vielleicht eine unschöne Mischung von plumper Wirklichkeit und gekünstelter Empfindung.

Bei solchen Gefahren hat der Dichter doppelt die Pflicht, die Umrisse seiner Bilder reinzuhalten von Verzerrung, und seine eigene Seele frei von Ungerechtigkeit. Dem Schönen in edelster Form den höchsten Ausdruck zu geben, ist nicht jeder Zeit vergönnt, aber in jeder soll der erfindende Schriftsteller wahr sein gegen seine Kunst und gegen sein Volk.

Diese Wahrheit zu suchen, und wo ich sie fand, zu vertreten, halte ich für die Aufgabe auch meines Lebens.

Und so sei meinem ritterlichen Herrn ehrfurchtsvoll das leichte Werk gewidmet. Glücklich werde ich sein, wenn Eurer Hoheit dieser Roman den Eindruck macht, daß er wahr nach den Gesetzen des Lebens und der Dichtkunst erfunden und doch niemals zufälligen Ereignissen der Wirklichkeit nachgeschrieben ist.

Gustav Freytag[10]

Quelle:
Gustav Freytag: Soll und Haben. München 1977 bzw. 1978, S. 9-11.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Soll und Haben
Soll und Haben. Roman in sechs Büchern
Soll und Haben
Soll und Haben. 6 Romane in 1 Buch
Soll Und Haben: Roman in Sechs Büchern, Volume 2 (German Edition)