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[27] Der Freiherr von Rothsattel gehörte zu den wenigen Menschen, welche nicht nur von aller Welt glücklich gepriesen werden, sondern auch sich selbst für glücklich halten. Er stammte aus einem sehr alten Hause. Ein Rothsattel war schon in den Kreuzzügen nach dem Morgenlande geritten. Wenigstens wurde in der Familie ein Rokokoflakon von buntem Glas als orientalisches Fläschchen aufbewahrt, ein Beweis für die Existenz des Ahnherrn und zur Erinnerung an die schöne Zeit der Kreuzzüge. Ein anderer Rothsattel hatte einen Haufen Bergleute gegen die Hussiten geführt und war mit dem ganzen Haufen zu seiner und des Herrn Ehre erschlagen worden. Wieder einer war Fähnrich in dem Heere des Moritz von Sachsen gewesen, er galt für den Stifter der Linie Rothsattel-Steigebügel, und sein kriegerisches Bildnis hing noch im Turmzimmer des Schlosses. Ein anderer hatte sich im Dreißigjährigen Kriege bei verschiedenen Armeen und auf eigene Faust gerührt; die Familiensage meldete von ihm, er sei ein sehr dicker Herr und ein großer Trinker gewesen, von kräftiger Suade und etwas freien Sitten. Er war als erster des Geschlechtes in die Gegend gekommen, in welcher diese Erzählung verlaufen soll, und hatte eine Anzahl Landgüter auf irgendeine Weise in Besitz genommen. Unter den Kinderfrauen der Familie bestand seit alter Zeit die düstere Überzeugung, daß dieser dicke Herr zuweilen im Keller auf einer großen Krauttonne zu sehen sei, wo er als ruheloser Geist sitze und ächze, zur Strafe für schauderhafte Vergehungen gegen die Tugend seiner weiblichen Zeitgenossen. Wieder ein anderer Vorfahr war kaiserlicher Rat zu Wien gewesen; der Urgroßvater des gegenwärtigen Besitzers war von dem großen König der Preußen starr angesehen und darauf mit Wohlwollen angeredet worden. Auch der Großvater war zu seiner Zeit ein unternehmender und vielbesprochener Kavalier gewesen, der in der Armee keine Lorbeeren gefunden und sich resigniert hatte, dieselben im Boudoir galanter Damen und am grünen Tisch zu suchen. Leider waren ihm dabei seine Güter lästig geworden und aus den Händen geglitten. Sein Sohn endlich, der Vater des gegenwärtigen Besitzers, war ein einfacher Landedelmann von mäßigem Geiste, der nach langen Prozessen das eine stattliche Gut[27] aus den Trümmern des Familienvermögens rettete und sein Leben damit zubrachte, dasselbe für seine Nachkommen schuldenfrei zu machen. Die Rothsattel hatten von je in dem Ruf gestanden, starke Nachkommenschaft zu hinterlassen, und alle ältern Damen aus der Familie erklärten diese Eigenheit – so höchst achtungswert sie auch sonst sei – doch für den einzigen Grund, daß das berühmte Haus nicht dazu gekommen war, die neunzinkige Grafenkrone oder gar den geschlossenen Reif eines Titularfürstentums auf dem Wappenhelm seines Seniors zu sehen. Gegenüber dem alten Brauch seines Hauses erwies der Vater auch dadurch seinen bescheidenen Sinn, daß er nur einen Sohn hinterließ.

Der gegenwärtige Besitzer des Gutes hatte in einem Garderegiment gedient, wie dem Sproß eines so kriegerischen Hauses ziemte. Er hatte dort den Ruf eines vollendeten Edelmannes erworben. Er war brauchbar im Dienst und ein vortrefflicher Kamerad gewesen, wohlbewandert in allen ritterlichen Übungen, zuverlässig in Ehrensachen. Er hatte bei Hofbällen stets schicklich dagestanden, und sooft er von einer Prinzeß befohlen wurde, mit guter Haltung getanzt. Auch als Mann von Charakter hatte er sich gezeigt, da er aus wirklicher Neigung ein armes Hoffräulein heiratete, eine liebenswürdige junge Dame, deren Abgang aus den Quadrillen des Hofes lebhafte Betrübnis in allen Männerherzen hervorrief. Mit seiner Gemahlin hatte sich der Freiherr als verständiger Mann in die Provinz zurückgezogen, hatte durch eine Reihe von Jahren fast ausschließlich für seine Familie gelebt und dadurch den Vorteil erreicht, daß seine Regimentsschulden sämtlich bezahlt und seine Ausgaben nicht größer waren, als seine Einnahmen. Sein Haus war vortrefflich eingerichtet, die geringe Aussteuer seiner Frau war dazu benutzt worden, ihr durch Einrichtung des Parks eine große Freude zu machen. Der Freiherr hielt einen Weinkeller von guten Tischweinen, hatte zwei prächtige Wagenpferde und zwei elegante Reitpferde, ging jeden Morgen durch die Wirtschaft und ritt jeden Nachmittag aufs Feld, hielt viel auf seine Schafherde und setzte einen Stolz darein, seine feine Wolle gut waschen zu lassen. Er war ein durchaus ehrlicher Mann, noch jetzt eine imponierend schöne Gestalt, verstand würdig zu repräsentieren und einen gastfreien Wirt zu machen,[28] und liebte seine Frau womöglich noch mehr als in den ersten Monaten nach seiner Vermählung. Kurz er war das Musterbild eines adligen Rittergutsbesitzers. Er war kein übermäßig reicher Herr, ungefähr das, was man einen Fünftausendtalermann nennt, und hätte sein schönes Gut in günstigen Zeiten wohl um vieles höher verkaufen können, als der scharfsinnige Itzig annahm. Er hätte das aber mit Recht für eine große Torheit gehalten. Zwei gesunde und fähige Kinder vollendeten das Glück seines Haushaltes, der Sohn war im Begriff als Militär die Familienkarriere zu beginnen, die Tochter sollte noch einige Jahre unter den Flügeln der Mutter leben, bevor sie in die große Welt trat.

Wie alle Menschen, welchen das Schicksal Familienerinnerungen aus alter Zeit auf einen Schild gemalt und an die Wiege gebunden hat, war auch unser Freiherr geneigt, viel an die Vergangenheit und Zukunft seiner Familie zu denken. An seinem Großvater war die trübe Erfahrung gemacht worden, daß ein einziger ungeordneter Geist hinreicht, das auseinanderzustreuen, was emsige Vorfahren an Goldkörnern und Ehren für ihre Nachkommen gesammelt haben. Er hätte deshalb gern sein Haus für alle Zukunft vor dem Herunterkommen gesichert, hätte gern sein schönes Gut in ein Majorat verwandelt und dadurch leichtsinnigen Enkeln erschwert, zwar nicht Schulden zu machen, aber dieselben zu bezahlen. Doch die Rücksicht auf seine Tochter hielt ihn von diesem Schritte ab, es kam seinem ehrlichen Gefühl ungerecht vor, dies geliebte Kind wegen künftiger ungewisser Rothsattel zu enterben. Und er empfand mit Schmerz, daß sein altes Geschlecht in der nächsten Generation in dieselbe Lage kommen werde, in der die Kinder eines Beamten oder eines Krämers sind, in die unbequeme Lage, sich durch eigene Anstrengung eine mäßige Existenz schaffen zu müssen. Er hatte oft versucht, von seinen Erträgen zurückzulegen, indes die Gegenwart war dazu wirklich nicht geeignet; überall fing man an mit einer gewissen Reichlichkeit zu leben, mehr auf elegante Einrichtung und den zahllosen kleinen Schmuck des Daseins zu halten. Und was er in günstigen Jahren etwa gespart hatte, das war durch kleine Badereisen, welche die zarte Gesundheit seiner Frau nach der Behauptung des Arztes notwendig machte, immer wieder ausgegeben worden. Der Gedanke an die Zukunft seiner Familie[29] beschäftigte den Freiherrn auch heut, als er auf seinem Halbblut durch die große Kastanienallee dem Schloß zusprengte. Es war eine sehr kleine Wolke, welche unter dem Sonnenschein seiner Seele dahinfuhr, sie verschwand im Nu, als er Gewänder vor sich flattern sah und seine Gemahlin erkannte, welche mit der Tochter ihm entgegeneilte. Er sprang vom Pferde, küßte sein Lieblingskind auf die Stirn und sagte vergnügt zu seiner Frau: »Wir haben vortreffliches Wetter zur Heuernte, es wird nach Kräften eingefahren, der Amtmann behauptet, wir hätten noch nie so viel Futter gemacht.«

»Du hast Glück, Oscar«, sagte die Baronin zärtlich zu ihm aufblickend.

»Wie immer seit siebzehn Jahren, seit ich dich heimgeführt habe«, antwortete der Gemahl mit einer Artigkeit, die vom Herzen kam.

»Heut sind es siebzehn Jahr«, rief die Baronin, »sie sind vergangen, wie ein Sommertag. Wir sind sehr glücklich gewesen, Oscar.« Sie schmiegte sich an seinen Arm und sah dankend zu ihm auf. »Gewesen?« fragte der Freiherr, »ich denke wir sind's noch. Und ich sehe nicht ein, weshalb es nicht weiter so fortgehen soll.«

»Berufe es nicht«, bat die Baronin. »Mir ist manchmal, als könnte so viel Sonnenschein nicht ewig währen; ich möchte demütig entbehren und fasten, um den Neid des Schicksals zu versöhnen.«

»Nun«, sagte der Freiherr gutmütig, »das Schicksal läßt auch uns nicht ungezaust. Die Donnerwetter fehlen uns nicht, aber diese kleine Hand erhebt sich zur Beschwörung und sie ziehen vorüber. Hast du nicht Ärger genug mit dem Haushalt, den Tollheiten der Kinder, und zuweilen mit deinem Tyrannen, daß du dir mehr ersehnst?«

»Du lieber Tyrann!« rief die Baronin. »Dir danke ich dies Glück. Und wie fühle ich es. Nach siebzehn Jahren bin ich immer noch stolz darauf, einen so stattlichen Hausherrn zu haben, ein so schönes Schloß und ein so großes Gut, wo jeder Fußbreit des Bodens auch mir gehört. Als du mich, das arme Fräulein, mit meinen Fähnchen und dem Schmuckkästchen, das ich der Gnade der Herrschaft verdanke, in dein Haus führtest, da erst lernte ich[30] erkennen, welche Seligkeit es ist, im eigenen Hause als Herrin zu regieren, und dem Willen keines andern zu gehorchen, als dem des geliebten Mannes.«

»Du hast doch vieles aufgegeben um meinetwillen«, sagte der Freiherr. »Oft habe ich gefürchtet, daß unser Landleben dir, dem Günstling der verstorbenen Prinzeß, zu einsam und klein erscheinen würde.«

»Dort war ich Dienerin, hier bin ich Herrin«, sagte die Baronin lachend. »Außer meiner Toilette hatte ich nichts, was mir selbst gehörte. Immer in den langweiligen Stuben der Hoffräulein umherziehen, an allen Abenden zu der letzten Rolle verurteilt sein, und dabei die Angst haben, daß das immer so fortgehen soll, bis man alt wird in ewigen Zerstreuungen, ohne eigenes Leben! Du weißt, daß mich das oft traurig gemacht hat. Hier sind die Überzüge unserer Möbeln nicht von schwerem Seidenstoff und in unserm Saal steht keine Tafel aus Malachit, aber was im Hause ist, gehört mir.« Sie schlang ihren Arm um den Freiherrn: »Du gehörst mir, die Kinder, unsere silbernen Armleuchter.«

»Die neuen sind nur Komposition«, warf der Freiherr ein.

»Das sieht niemand«, erwiderte seine Gemahlin fröhlich. »Und wenn ich mein Porzellan ansehe, und am Rande dein und mein Wappen erblicke, so schmecken mir unsere zwei Schüsseln zehnmal so gut, als die vielen Gänge der Hofküche. Und vollends die großen Hoftage und unsere Marschallstafel, wo jeder den andern zum Verzweifeln genau kannte, und jeder dem andern zum Verzweifeln gleichgültig war.«

»Du bist ein glänzendes Beispiel von Genügsamkeit«, sagte der Freiherr. »Um deinetwillen und wegen der Kinder wollte ich, dies Gut wäre zehnmal so groß, und unsere Einnahme so, daß ich dir einen Pagen halten könnte, Frau Marquise, und außer der Wirtschafterin ein paar Hoffräulein.«

»Nur keine Fräulein«, bat die Baronin, »und was den Pagen betrifft, so braucht man keinen, wenn man einen Kavalier hat, der so aufmerksam ist, wie du.«

So schritt der Freiherr behaglich zwischen den beiden Frauen dem Schlosse zu. Lenore hatte sich unterdes der Zügel seines Reitpferdes bemächtigt und redete dem Pferde freundlich zu, so wenig Staub als möglich zu machen.[31]

»Dort hält ein fremder Wagen, ist Besuch gekommen?« fragte der Freiherr, als sie sich dem Hofe näherten.

»Es ist nur Ehrenthal«, antwortete die Baronin, »er wartet auf dich und hat bereits seinen ganzen Vorrat von schönen Redensarten an uns verschwendet; Lenore ließ ihrem Übermut den Zügel schießen, und es war hohe Zeit, daß ich sie wegführte; dem drolligen Mann wurde angst bei der Koketterie des unartigen Kindes.«

Der Freiherr lächelte. »Mir ist er immer noch der liebste in dieser Klasse von Geschäftsleuten«, sagte er; »sein Benehmen ist wenigstens nicht abstoßend, und ich habe ihn in dem langen Verkehr stets zuverlässig gefunden. – Guten Tag, Herr Ehrenthal, was führt Sie zu mir?«

Herr Ehrenthal war ein wohlgenährter Herr in seinen besten Jahren mit einem Gesicht, welches zu rund war, zu gelblich und zu schlau, um schön zu sein; er trug Gamaschen an den Füßen, eine diamantene Busennadel auf dem Hemd und schritt mit großen Bücklingen und tiefen Bewegungen des Hutes durch die Allee dem Baron entgegen.

»Ihr Diener, gnädiger Herr«, antwortete er mit ehrerbietigem Lächeln, »wenn mich auch nichts herführt von Geschäften, so werde ich Sie doch bitten, Herr Baron, daß Sie mir manchmal erlauben, herumzugehen in Ihrer Wirtschaft, damit ich in meinem Herzen eine Freude habe. Es ist mir eine Erholung von der Arbeit, wenn ich komme in Ihren Hof. Alles so glatt und wohlgenährt, und alles so reichlich und gut eingerichtet in den Ställen und in den Scheunen. Die Sperlinge auf dem Dach sehen bei Ihnen lustiger aus, als die Sperlinge von andern Leuten. Wenn man als Geschäftsmann so vieles erblicken muß, was einen nicht erfreut, wo die Menschen durch ihr Verschulden in Unordnung kommen und Verfall, da tut's einem wohl, wenn man ein Leben sieht, wie das Ihre; keine Sorgen, keine großen Sorgen zum wenigsten, und so vieles, was das Herz erfreut.«

»Sie sind so artig, Herr Ehrenthal, daß ich glauben muß, etwas recht Wichtiges führt Sie her. Wollen Sie ein Geschäft mit mir machen?« fragte der Freiherr gutmütig.

Mit einem Kopfschütteln, wie es dem biedern Mann ansteht, wenn er einen ungerechten Verdacht von sich abweisen will, antwortete[32] Herr Ehrenthal: »Nichts vom Geschäft, Herr Baron! Die Geschäfte, die ich mit Ihnen mache, sind solche, wo man sagt keine Artigkeiten. Gute Ware und gutes Geld, so haben wir es immer gehalten, und so wollen wir's mit Gottes Hilfe auch ferner halten. Ich kam nur herein im Vorbeifahren« – dabei bewegte er nachlässig die Hand, um pantomimisch zu bekräftigen, daß er nur im Vorbeifahren sei –, »ich wollte fragen wegen des Pferdes, das der Herr Baron zu verkaufen haben. Es ist einer im Dorfe daneben, dem ich habe versprochen zu fragen nach dem Preis. Ich kann's ebensogut mit dem Amtmann abmachen, wenn der Herr Baron keine Zeit haben für mich.«

»Kommen Sie mit, Ehrenthal«, sagte der Freiherr, »ich führe mein Pferd selbst in den Stall.«

Herr Ehrenthal machte den Frauen viele Bücklinge, welche von Lenore durch ebenso tiefe Knickse erwidert wurden, und folgte dem Freiherrn zur Stalltür. Dort blieb er respektvoll stehen und bestand darauf, daß das Pferd des Barons und der Baron selbst vor ihm eintraten. Nach kurzer Besichtigung und den üblichen Reden und Gegenreden führte der Freiherr Herrn Ehrenthal auch in den Kuhstall, worauf Herr Ehrenthal den leidenschaftlichen Wunsch aussprach, auch die Kälber zu sehen, und endlich die Bitte zufügte, auch bei den Zuchtböcken zur Audienz zugelassen zu werden. Er war ein erfahrener Geschäftsmann, und wenn das Entzücken, welches er aussprach, auch etwas handwerksmäßig und überschwenglich klang, so war das, was er lobte, doch wirklich lobenswert, und der Freiherr hörte das Lob mit Wohlgefallen an.

Nach Besichtigung der Schafe mußte eine Pause gemacht werden, denn Ehrenthal war zu sehr ergriffen von der Feinheit und Dichtigkeit ihres Pelzes. »Nein, dieser Stapel!« seufzte er in träumerischer Begeisterung; »schon jetzt kann man sehen, was er sein wird im nächsten Frühjahr.« Er wiegte den Kopf hin und her und zwinkerte mit den kleinen Augen nach der Sonne. »Wissen Sie, Herr Baron, daß Sie sind ein glücklicher Mann! Haben Sie gute Nachrichten von Ihrem Herrn Sohn?«

»Danke, lieber Ehrenthal, er hat gestern geschrieben und seine Zeugnisse geschickt«, antwortete der Freiherr.

»Er wird werden, wie sein Herr Vater«, rief Herr Ehrenthal[33] aus, »ein Kavalier von erster Qualität, und ein reicher Mann, der Herr Baron weiß zu sorgen für seine Kinder.«

»Ich erspare nichts, lieber Ehrenthal«, erwiderte der Baron nachlässig.

»Was ersparen?« rief der Händler mit Verachtung gegen eine so plebeje Tätigkeit; »was sollen Sie sparen? Wenn ich mir erlauben darf, das zu bemerken als ein Geschäftsmann, der schon lange die Ehre hat, Sie zu kennen. Was brauchen Sie zu sparen? Sie werden doch dereinst, wenn der alte Ehrenthal nicht mehr sein wird, auch ohne Sparen hinterlassen dem jungen Herrn das Gut, welches unter Brüdern wert ist ein und ein halbes Hunderttausend, und dem gnädigen Fräulein Tochter außerdem eine Aussteuer von – was soll ich sagen – von fünfzigtausend Taler bar.«

»Sie irren«, sagte der Freiherr ernst, »ich bin nicht so reich.«

»Nicht so reich?« rief Herr Ehrenthal mit sittlicher Entrüstung gegen jeden Menschensohn (den Baron ausgenommen), der so etwas behaupten könnte. »Es hängt doch nur von Ihnen ab, jeden Augenblick so reich zu sein. Wer ein Vermögen hat, wie der Herr Baron, der kann in zehn Jahren verdoppeln sein Kapital ohne Gefahr. – Warum wollen Sie nicht Pfandbriefe der Landschaft auf Ihr Gut nehmen?«

Die »Landschaft« der Provinz war damals ein großes Kreditinstitut der Rittergutsbesitzer, welches Kapitalien zur ersten Hypothek auf Rittergüter auslieh. Die Zahlung erfolgte in Pfandbriefen, welche auf den Inhaber lauteten und damals überall im Lande für das sicherste Wertpapier galten. Das Institut selbst zahlte die Interessen an die Besitzer der Obligationen und erhob von seinen Schuldnern außer den Zinsen noch einen geringen Zuschlag für Verwaltungskosten und zu allmählicher Tilgung der aufgenommenen Schuld.

»Ich mache keine Geldgeschäfte«, antwortete der Freiherr stolz, aber in seiner Brust klang die Saite fort, welche der Händler angeschlagen hatte.

»Die Geschälte, welche ich meine, sind so, wie sie heutzutage macht jeder Fürst«, fuhr Herr Ehrenthal mit Feuer fort. »Wenn der gnädige Herr Pfandbriefe der Landschaft aufnimmt auf sein Gut, so kann er jeden Tag erhalten fünfzigtausend Taler in gutem Pergament. Sie zahlen dafür der Landschaft vier vom Hundert,[34] und wenn Sie die Pfandbriefe liegenlassen in Ihrer Kasse, so erhalten Sie davon Zinsen dreiundeinhalb vom Hundert. Dann zahlen Sie ein halbes Prozent zu an die Landschaft, und durch das halbe Prozent wird noch amortisiert das Kapital.«

»Das heißt Schulden machen, um reich zu werden«, warf der Gutsherr achselzuckend ein.

»Verzeihen Sie, Herr Baron, wenn ein Herr wie Sie fünfzigtausend Taler liegen hat, welche ihm jährlich kosten ein halbes Prozent, so kann er damit kaufen die halbe Welt. Immer gibt es Gelegenheit, Güter zu erwerben zu einem Spottpreis, wenn man bar Geld oder Pfandbriefe hat zu rechter Zeit. Da sind Rittergüter, da sind Waldungen, die man kann kaufen, oder Anteile von Bergwerken, oder Aktien von einer soliden Sozietät. Oder der Herr Baron können selbst anlegen ein Etablissement auf Ihrem Gut, wenn Sie wollen schaffen Zucker aus Rüben, wie der Herr v. Bergen am Gebirge, oder amerikanisches Mehl, wie der Herzog von Löbau, oder bayrisches Bier, wie Ihr Nachbar, der Graf Horn. Was ist dabei für eine Gefahr? Sie werden einnehmen zehn, zwanzig, ja fünfzig Taler vom Hundert des Kapitals, das Sie geliehen haben von der Landschaft zu vier vom Hundert.«

Der Freiherr sah nachdenkend vor sich hin. Was ihm der Händler sagte, war durchaus nichts Neues und Unerhörtes, er selbst hatte oft ähnliches gedacht. Es war gerade die Zeit, wo eine Menge von neuen industriellen Unternehmungen aus dem Ackerboden aufschossen, wo durch die hohen Schornsteine der Dampfmaschinen, durch neuentdeckte Kohlen- und Erzlager, durch neue landwirtschaftliche Kulturen große Summen erworben und noch größere Reichtümer gehofft wurden. Die vornehmsten Grundbesitzer der Landschaft standen an der Spitze ausgedehnter Aktienunternehmungen, welche auf einer Verbindung moderner Industrie und des alten Ackerbaues beruhten. Es war nichts Neues und Auffallendes in den Worten des Händlers, und doch schlugen sie als zündender Blitz in die Seele des Freiherrn. Sie kamen im rechten Augenblick. Herr Ehrenthal bemerkte die Wirkung, welche er hervorgebracht hatte, und schloß mit der Gemütlichkeit, welche seine Lieblingsstimmung war: »Wo habe ich das Recht, einem Herrn, wie Sie sind, einen Rat zu geben? Aber jeder Gutsbesitzer muß sagen dasselbe, daß ein solches[35] Geschäft mit Pfandbriefen in unserer Zeit die solideste Art ist, wie ein vornehmer Herr kann sorgen für seine Kinder. Wenn einst das Gras wachsen wird über dem Grabe des alten Ehrenthal, dann werden Sie an mich denken und bei sich sagen: der Ehrenthal war nur ein einfacher Mann, aber er hat mir geraten, was gut war und ein Segen für die Familie.«

Der Freiherr sah immer noch vor sich hin. Was er lange in sich herumgetragen hatte, das war auf einmal zum festen Entschluß geworden. Dem Händler sagte er mit einer Leichtigkeit, die ihm nicht vom Herzen kam: »Ich will mir's überlegen.« Ehrenthal war damit zufrieden und bat um die Erlaubnis, sich den Damen empfehlen zu dürfen, was er als Mann von Welt und Gemüt selten unterließ.

Es war schade, daß der Freiherr nicht das Gesicht des Geschäftsmannes sah, als dieser in seinen Wagen stieg und mechanisch die Bourbonrose ins Knopfloch steckte, welche ihm Lenore beim Abschiede mit schalkhafter Artigkeit überreicht hatte. Auch Herr Ehrenthal machte ein lustiges Gesicht, aber nicht aus Freude über die volle Rose. Er ließ den Kutscher langsam durch die Feldmark fahren und sah wohlgefällig auf die Ackerstücke, welche mit reifender Frucht zu beiden Seiten des Weges lagen. In langem Zuge kamen die Heuwagen des Gutes ihm entgegen. So oft er still hielt, um einen Riesenwagen vorbeizulassen, berupften seine Pferde das Heu, und sein Kutscher drehte sich um und rief schnalzend: »Schönes Futter!«

»Ein schönes Gut«, sagte dann Herr Ehrenthal in tiefem Nachdenken.

Unterdes saß die Baronin in einer Gartenlaube und blätterte in den neuen Journalen, welche der Buchhändler aus der nächsten Kreisstadt zugeschickt hatte. Sie betrachtete prüfend die Modekupfer und genoß die kleinen Nippes der Tagesliteratur: Geschichten von Menschen, welche auf außerordentliche Weise reich geworden, und von andern, welche auf schauderhafte Weise ermordet sind, Tigerjagden aus Ostindien, ausgegrabene Mosaikböden, rührende Schilderungen von der Treue eines Hundes, hoffnungsreiche Betrachtungen über die Unsterblichkeit der Seele, und was sonst das flüchtige Auge eleganter Damen zu fesseln vermag. Die schöne Gemahlin des Freiherrn schaukelte[36] während des Lesens die gestickte Fußbank, ihre Seele war nur halb in den Blättern, sie sah oft über den Rasenplatz nach ihrer Tochter, welche, wieder mit dem Pony beschäftigt, diesem aus Blumen und Zeitungspapier eine groteske Halskrause und eine gehörnte Mütze zurechtmachte, was der Pony vergebens dadurch zu vereiteln suchte, daß er soviel Blüten und Zeitungspapier wegfraß, als er mit dem Maul erreichen konnte. Als die junge Dame, stolz auf ihr Werk, den Kopf nach der Laube wandte und das Auge der Mutter auf sich gerichtet sah, überließ sie das Pferd dem herzueilenden Bedienten und flog wie eine Libelle zu den Füßen der Mutter. Sie setzte sich auf die Fußbank, zog die Journale auf das Knie der Baronin, und fing an, sich possenhaft mit den Herren und Damen der Modekupfer zu unterhalten. Da die Gesichter dieser Ideale, wie bekannt, den Vorzug haben, allen Menschen ähnlich zu sehen, von denen sie sich durch einzelne charakteristische Eigenheiten, durch merkwürdig kleine Lippen, und zuweilen durch ein auf der Stirn oder den Backen sitzendes Auge unterscheiden, so wurde der jungen Dame nicht schwer, zahlreiche Ähnlichkeiten mit Bekannten des Hauses aufzufinden und die Bilder danach zu behandeln. Die Mutter lächelte über die kindischen Scherze der Tochter und sagte endlich, ihre Gedanken laut fortsetzend: »Lenore, du wirst jetzt ein erwachsenes Mädchen und bist noch so sehr Kind. Wir haben dich aufwachsen lassen bei dem Unterricht der Bonne und des Kandidaten; es wird Zeit, daran zu denken, daß du etwas Ordentliches lernst, mein armes Kind.«

»Ich dachte, das Lernen sollte jetzt aufhören«, antwortete Lenore schmollend.

»Deine französische Aussprache ist noch schlecht, und dein Vater will, daß du dich im Zeichnen übst, du hast Anlage dazu.«

»Ich zeichne nur Karikaturen«, rief Lenore, »die sind am leichtesten, man macht eine lange Nase oder kurze Beine, und das Kerlchen sieht lächerlich aus.«

»Du sollst nicht Karikaturen zeichnen«, sprach die Mutter, »das verdirbt deinen Geschmack und macht dich spöttisch.« Lenore ließ das Köpfchen hängen. »Und wer war der junge Mann, mit dem du vorhin durch den Garten gingst?« fuhr die Mutter strafend fort. »Du hast ihm die Erdbeeren des Vaters gegeben.«

»Schilt nur nicht immer, liebe Mutter«, rief die Tochter errötend.[37]

»Der Fremde war ein hübscher artiger Junge, er geht nach der Hauptstadt, er hat weder Vater noch Mutter, das tat mir leid. Und so bescheiden war er! Sei mir nicht böse«, schmeichelte sie und flog an den Hals der Mutter, in deren Augen mehr Liebe als Zorn zu lesen war.

Die Mutter küßte das Kind auf den Mund und sagte gütig: »Du bist mein gutes, wildes Mädchen, suche mir jetzt den Vater, sein Kaffee wird kalt.«

Als der Freiherr in die Laube trat, noch voll von seiner Unterredung mit Ehrenthal, legte die Baronin ihre Hände in die seinen und sagte: »Oscar, ich habe Sorge um Lenore!«

»Ist sie krank?« fragte der Vater betroffen. »Sie ist gesund und von Herzen gut, aber sie ist kecker und ungebundener, als sich für ihre Jahre paßt.«

»Sie ist auf dem Lande aufgewachsen und eine tüchtige Dirne geworden«, erwiderte der Freiherr beruhigend.

»Es fehlt ihr aber an Form und an Zartgefühl im Umgang mit Fremden«, fuhr die Mutter fort. »Ich fürchte, sie ist in Gefahr, ein Original zu werden.«

»Nun, das Unglück wäre nicht so groß«, sagte der Freiherr lachend.

»Es gibt kein größeres für ein Mädchen aus unserm Kreise. – Was in der Gesellschaft auffällt, wird auch lächerlich; ein kleiner Zug von bizarrem Wesen kann ihre ganze Zukunft verderben. Sie muß genötigt werden, mehr auf sich zu achten, und ich fürchte, hier auf dem Lande wird sie das nicht lernen.«

»Wir sollen das Kind von uns tun, vielleicht auf Jahre, und unter fremden Menschen aufblühen lassen?« fragte der Freiherr unwillig.

»Und doch muß es sein«, sagte die Baronin ernst, »und es kostet mich viel, dir das zu sagen. Sie ist unartig gegen Mädchen ihres Alters, rücksichtslos gegen Frauen, und Männern gegenüber viel zu dreist. – Kannst du dir ein Mädchen von Lenorens Wesen am Hofe denken?« fragte die Baronin nach einer Pause.

Der Gemahl konnte sich das nicht denken, vielleicht deshalb nicht, weil ein Fürstenhof überhaupt nicht der Ort ist, wo schnell aufgeschossene Fräulein die Schulbücher umhertragen und Katze und Maus spielen.[38]

»Sie wird sich ändern«, warf er endlich ein.

»Sie wird sich nicht ändern«, entgegnete die Baronin sanft, die Hand auf seine Schultern legend, »solange der Liebling mit seinem Vater zu Pferde über Gräben setzt und ihn sogar auf dem Pirschgang begleitet.«

»Ich kann mich nicht darein finden, beide Kinder zu entbehren«, sprach der Vater gutmütig. »Das wäre sehr hart für uns, am schwersten für dich, du strenge Hausfrau.«

»Vielleicht!« sagte die Baronin leise, und ihre Augen wurden feucht. »Aber wir dürfen nicht an uns denken, nur an die Zukunft der Kinder.«

Der Freiherr sah die Bewegung der geliebten Frau, er zog sie an sich und sprach entschlossen: »Höre, Elsbeth, wenn wir in früheren Jahren von dieser Zeit sprachen, da dachten wir uns Lenorens Erziehung anders. Wir wollten die Winter über selbst in der Stadt leben, unter deinen Augen sollte das Kind den letzten Unterricht erhalten und in die Gesellschaft treten. Du sollst dich nicht von ihr trennen. Wir ziehen schon diesen Winter nach der Hauptstadt.«

Überrascht erhob sich die Baronin: »Guter Oscar!« rief sie gerührt aus. »Aber – verzeih die Frage, würde ein solcher Aufenthalt nicht in anderer Hinsicht für dich ein großes Opfer sein?«

»Nein«, sagte der Freiherr fröhlich, »ich habe Pläne, die auch für mich wünschenswert machen, den Winter in der Stadt zuzubringen.«

Er erzählte; der Umzug nach der Hauptstadt wurde beschlossen.

Quelle:
Gustav Freytag: Soll und Haben. München 1977 bzw. 1978, S. 27-39.
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