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[67] Der Freiherr von Rothsattel hatte sein Quartier in der Hauptstadt selbst eingerichtet. Es war nur von mäßiger Größe, aber die Form der Möbel, die Arabesken der einfachen Wandmalerei, die Zeichnung auf Vorhängen und Teppichen waren so geschmackvoll zusammengepaßt, daß das Ganze in der guten Gesellschaft als ein Muster von Eleganz und Wohnlichkeit gerühmt wurde. Recht in der Stille hatte er das alles vorbereitet. Endlich hielt der neugekaufte Wagen vor der Wohnung, der Freiherr hob seine Gemahlin heraus und führte sie durch die Reihe der Zimmer bis zu ihrem kleinen Boudoir, das ganz mit weißer Gaze dekoriert war, die Decke eine Sonne von weißen Falten, und an allen Wänden weiß gefältelte Sterne. Da flog ihm die Baronin entzückt über so viel Aufmerksamkeit in die Arme, und der gute Herr fühlte sich zufrieden und stolz wie ein König. Schnell war die Familie eingelebt, die Ackerpferde führten vom Gut die unvermeidlichen Kisten, Truhen und Vorräte an Lebensmitteln herbei, und nachdem einige Tage hindurch zahlreiche Strohhalme von Treppen, Fußböden und Teppichen abgefegt worden waren, konnte man daran denken, sich außerhalb des Hauses umzusehen und die nötigen Besuche zu machen.

Ein großer Teil des Landadels pflegte die Wintermonate in der Hauptstadt zuzubringen, und die Rothsattel fanden mehrere Gutsnachbarn, viele Bekannte und Verwandte. Überall war man erfreut, die angesehene Familie in der Stadt zu begrüßen, und[67] nach wenigen Wochen fanden sie sich mitten in einem großen Kreise zu fröhlicher Geselligkeit eingelebt. Der niedere Adel mit all seinen Titeln, welche ihm von den deutschen Regenten freigebig erteilt worden sind, bildete eine stattliche, ziemlich abgeschlossene Korporation, und wenn in dem Völkchen auch nicht gerade ein Überfluß von geistreicher Bildung vorhanden war, so war doch das gesellige Behagen, mit dem sie untereinander verkehrten, vielleicht um so größer. Die Baronin wurde durch ihre sichere Liebenswürdigkeit eine Hauptgröße der Frauenwelt, auch ihr Gemahl, der in den ersten Wochen manchmal die Wanderungen durch den Wirtschaftshof und die Spazierritte in seinem Wald vermißt hatte, fand sich bald unter seinen Jugendfreunden nicht weniger wohl. Er wurde Mitglied einer adeligen Ressource, suchte seine alte Virtuosität auf dem Billard hervor, spielte mit Anstand Whist und L'hombre und trieb in müßigen Stunden etwas Politik und ein wenig Kunst. So verlebte die Familie eine behagliche und interessante Wintersaison, und der Freiherr und seine Gemahlin äußerten einander ihre Verwunderung, warum sie ihrem Leben nicht schon in frühern Jahren diese bescheidene und anständige Abwechselung gegönnt hätten.

Nur Lenore war mit dem Umzug nicht ganz zufrieden. Sie fuhr fort, die Befürchtung ihrer Mutter zu rechtfertigen, daß sie ein Original werden könnte. Es wurde ihr schwer, den zahlreichen ältlichen Tanten der Familie eine anmutige Ehrerbietung zu bezeigen, und noch schwerer wurde ihr, lustige Herren aus der Nachbarschaft, gute Freunde ihres Vaters, die sie vom Gut her kannte, hier in der Stadt nicht zuerst anzureden, wenn sie ihnen auf der Straße begegnete. Auch das Behältnis war ihr peinlich, in dem sie die Bildung aus dem Mädcheninstitut nach Hause tragen mußte. Es war ein Zwitter von Tasche und Mappe, voll von langweiligen Heften und Lehrbüchern. Da die Mutter nicht gern sah, wenn der Bediente ihr die Schulbücher nachtrug, so schlenkerte sie das Ding verächtlich am Arm, so oft sie auf der Straße ging, blieb dabei von Zeit zu Zeit stehen und sah wie eine Juno mit dreistem Blick auf die Gruppen der Marktleute, auf Eckensteher, die sich prügelten, und auf andere Menschenknäuel, welche sich in den Straßen einer großen Stadt zusammenballen. Einst, als sie so auf der Straße stand, die Mappe als Zeichen ihrer Sklaverei am[68] Arme und einen kleinen Regenschirm in der Hand, siehe, da kam ihr auf dem Trottoir der junge Herr entgegen, den sie im Garten umhergeführt und über den Teich gefahren hatte. Sie freute sich darüber; er war ihr eine freundliche Erinnerung an das Gut, an ihren Pony und an das Volk der Schwäne. Noch war er eine Strecke entfernt, als ihre Falkenaugen ihn beobachteten. Er kam näher und sah sie nicht. Da ihr die Mutter verboten hatte, irgendeinen Herrn auf der Straße anzusprechen, so blieb sie in seinem Wege stehen und stampfte ihren Schirm befehlend vor ihm auf die Steine. Anton, der im Geschäftstrott war, blickte auf und sah mit der höchsten Freude, daß das schöne Fräulein vom See vor ihm stand. Er zog errötend seinen Hut, und das Fräulein erkannte aus seinem strahlenden Gesicht mit Befriedigung, daß trotz der Büchertasche ihre Erscheinung auf ihn noch ebenso gewaltig wirkte, als früher.

»Wie geht es Ihnen, mein Herr?« frug sie würdevoll das Köpfchen zurückwerfend.

»Sehr gut«, sagte Anton; »wie bin ich glücklich, Sie hier in der Stadt zu sehen.«

»Wir wohnen jetzt hier«, sprach das Fräulein weniger vornehm, »für den Winter Bärenstraße Nr. 20.«

»Darf ich fragen, wie sich der Pony befindet?« sagte Anton ehrfurchtsvoll.

»Denken Sie, er hat zu Hause bleiben müssen«, klagte die Dame; »und was treiben Sie hier?«

»Ich bin in der Handlung von T.O. Schröter«, antwortete Anton mit einer Verbeugung.

»Also Kaufmann?« sagte das Fräulein, »und womit handeln Sie?«

»Kolonialwaren und Produkte; es ist das größte Geschäft in dieser Branche hier am Platz«, antwortete Anton mit Selbstgefühl.

»Und haben Sie gute Menschen gefunden, die auch für Sie sorgen?«

»Mein Prinzipal ist sehr gütig gegen mich«, antwortete Anton, »in Kleinigkeiten muß ich für mich selbst sorgen.«

»Haben Sie auch Freunde hier, mit denen Sie sich amüsieren?« setzte das Fräulein ihr Examen fort.[69]

»Einige Bekannte. Ich habe aber viel zu tun, und in den Freistunden muß ich für mich lernen.«

»Sie sehen auch etwas bleich aus«, sagte das Fräulein, ihn mit mütterlichem Wohlwollen betrachtend. »Sie müssen sich mehr Bewegung machen und fleißig spazierengehen. – Es ist mir angenehm gewesen, Sie hier zu treffen; ich werde mich freuen, wenn ich höre, daß es Ihnen wohlgeht«, fügte sie, wieder in Majestät übergehend, hinzu. Sie sah ihn noch einen Augenblick an, grüßte mit dem Kopf und verschwand in dem Menschenstrom, während Anton ihr mit abgezogenem Hut nachsah.

Lenore fand nicht für nötig, über das zufällige Zusammentreffen viele Worte zu verlieren. Nur als einige Tage darauf die Baronin ihren Gemahl fragte, aus welcher Handlung wollen wir die Waren nehmen, die der Haushalt braucht; da sah Lenore von ihrem Buche auf und sagte: »Die größte Handlung hier am Platz ist von T.O. Schröter, Kolonialwaren und Produkte.«

»Woher weißt du das?« fragte der Vater lachend, »du sprichst ja wie ein gelernter Kaufmann.«

»Das kommt alles von diesem Mädcheninstitut«, antwortete Lenore trotzig.

Über den geselligen Freuden vergaß der Freiherr nicht den Hauptzweck seines Aufenthaltes in der Stadt. Er zog sorgfältige Erkundigungen ein über die technischen Gewerbe, welche andere Gutsbesitzer eingerichtet hatten, er besuchte die Fabriken der Stadt und bemühte sich gebildete Techniker kennenzulernen. Er bekam eine Masse von Nachrichten und erwarb einige Kenntnisse in Maschinen und Fabrikanlagen. Aber die Nachrichten, welche er erhielt, waren so widersprechend, und die Anschauungen, welche er selbst gewann, so unvollständig, daß er zuletzt für das beste hielt, nichts zu übereilen, und abzuwarten, bis sich ein geschäftliches Unternehmen von besonderer und möglichst sicherer Rentabilität fände.

Es darf nicht verschwiegen werden, daß zu dieser Zeit auch der Familienschatz durch ein schönes mit vergoldetem Messing beschlagenes Kästchen vermehrt wurde. Es war von gefasertem Holz mit Arabesken von mattem Metall und mit einem sehr künstlichen Schloß, welches für einen Spitzbuben gar nicht zu öffnen war und den Dieb in die Notwendigkeit versetzte, das[70] ganze Kästchen zu stehlen. In diesem Behältnis lagen fünfundvierzigtausend Taler in neuen weißen Pfandbriefen der Landschaft. Der Freiherr betrachtete die Pfandbriefe mit vieler Zärtlichkeit. Er saß in den ersten Tagen stundenlang vor dem geöffneten Kästchen und wurde nicht müde, die Pergamentblätter nach den Nummern zu ordnen, sich über den reinlichen weißen Glanz derselben zu freuen und die Tilgungspläne für das Kapital zu entwerfen. Auch als er das Kästchen der Sicherheit wegen wieder ins Depositum der Landschaft gegeben hatte, war der Gedanke daran eine von den kleinen Freuden, welche der ritterliche Gutsherr im stillen hatte. Ja, der Geist dieses Kästchens spukte in seinem Haushalt fort. Die Baronin war verwundert, wenn ihr Gemahl zuweilen anfing, da zu sparen, wo er es sonst nicht getan hatte; wenn er einige Male von Logenbilletten abriet, weil man gute Wirtschaft treiben müsse, oder wenn er ihr mit einer gewissen Freude erzählte, daß er am vergangenen Abend zehn Louisdor im Spiel gewonnen habe. Die verständige Dame wurde ernstlich besorgt, ob ihr Gemahl nicht durch einen Unfall in Geldverlegenheit gekommen sei; indes beruhigten sie seine Versicherungen vom Gegenteil und ein zufriednes Lächeln, welches in solchen Stunden über seinem Gesicht schwebte, sehr bald wieder. In der Tat waren die kleinen Anfälle von Sparsamkeit nicht konsequent und ergaben sich als nichts anderes, als eine unschuldige Laune, denn in allen größern Dingen hielt der Freiherr in gewohnter Weise auf anständige Repräsentation, und sein Auftreten war durchaus seiner Familie und seinem Wohlstande entsprechend.

Auch war es in der Tat nicht möglich, gerade jetzt zurückzulegen. Das Leben in der Stadt, die Einrichtung der Wohnung und die unvermeidlichen geselligen Ansprüche verringerten natürlich die Ausgaben nicht.

So kam es, daß der Freiherr, als er zur Abnahme der Winterrechnungen auf sein Gut gereist war, sehr verstimmt nach der Stadt zurückkehrte. Er hatte große Rechnung gemacht, er hatte gesehen, daß die Ausgaben des letzten Jahres größer gewesen waren, als die Einnahmen, daß der Revenuenanschlag des nächsten Jahres keine Deckung des Defizits versprach, daß fast zweitausend Taler fehlten, welche geschafft werden mußten. Der Gedanke[71] griff ihn an das Herz, daß er dies Geld von den weißen Pergamenten nehmen sollte, und dem Manne, welcher mit dem größten Anstand einen feindlichen Kugelregen ausgehalten hätte, wurde siedend heiß, wenn er dachte, daß er in diesem Falle einige tausend Taler wirklicher Schulden auf seinem Gut haben würde. Er war verständig genug, einzusehen, daß in seiner Spekulation ein Fehler gewesen war. Wenn man ein Vermögen durch jährliche kleine Ersparnisse erwerben will, muß man seine Ausgaben einschränken; er aber hatte seine Ausgaben bedeutend vermehrt. Ohne Zweifel war diese Vermehrung sehr notwendig gewesen, aber es war ein unglücklicher Zufall, daß das so zusammentraf. Seit seinen Leutnanttagen hatte der gute Herr keine so peinliche Unruhe empfunden. Aus der Stadt zurück konnte er nicht, dafür gab es tausend Gründe; er hatte die Wohnung auf eine Reihe von Jahren gemietet, was würden die Bekannten zu einer plötzlichen Abreise gesagt haben, wie hätte er seiner geliebten Frau und Lenore das Opfer zumuten können? So verschloß er den Ärger in sich. Er entschuldigte gegenüber den besorgten Fragen der Baronin seine Verstimmung durch eine Erkältung auf der Reise, aber tagelang nagte der Gedanke an ihm, daß er einen Verlust erlitten habe, daß er zurückgekommen sei; und je sanguinischer er vorher gewesen war, desto niedergeschlagener wurde er jetzt. Ja es geschah, daß er auf einem Spaziergange durch die Stadt bei einem Lotterieeinnehmer eintrat und ein Lotterielos kaufte, damit ein gütiges Geschick das gutmachen möge, was schadhaft war. Zuweilen, besonders am Abend, wenn er aus heiterer Gesellschaft kam, lächelte er selbst über diese Verstimmung und schalt sie töricht. Das ganze Unglück war so unbedeutend, es war ja keine Lebensfrage; in wenigen Jahren konnten seine Angelegenheiten wieder aufs beste arrangiert sein. Nur an den nüchternen Morgen kam ihm der langweilige Gedanke wieder, und er konnte ihn nicht loswerden.

An einem solchen Morgen wurde Herr Ehrenthal gemeldet, der ihm eine Summe für gekauftes Getreide zu zahlen hatte. Den Freiherrn überkam ein peinliches Gefühl, als der Bediente den Namen Ehrenthal aussprach; der Mann hatte ihm den Rat gegeben, Pfandbriefe aufzunehmen. Freilich sagte er sich im nächsten Augenblick, daß derselbe Mann ihm nicht den Rat gegeben hatte,[72] nach der Stadt zu ziehen; aber er grollte ihm doch, und sein Gruß mochte wohl kälter klingen als gewöhnlich. Herr Ehrenthal war ein viel zu guter Geschäftsmann, um auf die Launen seiner Kunden viel zu geben. Er zählte sein Geld auf und war dabei freigebig mit den Versicherungen seiner Ergebenheit. Der Freiherr blieb unzugänglich, bis Ehrenthal im Abgehen fragte: »Und sie sind gekommen, die Pfandbriefe, gnädiger Herr Baron?«

»Ja«, sagte der Herr mürrisch.

»Es ist jammerschade«, rief Ehrenthal, »daß fünfundvierzigtausend Taler liegen sollen so tot, als ob sie nicht vorhanden wären in der Welt. Dem Herrn Baron ist's gleich, ob er einmal gewinnt ein paar tausend Taler oder nicht, aber unsereinem ist es nicht gleich. Ich kann in diesem Augenblick machen ein solides Geschäft und ein sicheres, und mein Geld ist versteckt, ich muß mir entgehen lassen einen baren Gewinn von viertausend Talern.«

Der Freiherr hörte aufmerksam zu, der Händler fuhr mit größerm Mute fort: »Herr Baron, Sie kennen mich seit Jahren als einen ehrlichen Mann, Sie wissen auch, daß ich nicht ohne Mittel bin; ich will Ihnen einen Vorschlag tun: Leihen Sie mir zehntausend Taler Pfandbriefe auf drei Monat; ich gebe Ihnen für das Kapital einen Wechsel auf mich selbst, welcher ist wie bar Geld. Es sind zu gewinnen viertausend Taler bei dem Geschäft; was gewonnen wird, das teile ich mit dem Herrn Baron statt der Zinsen zu gleichen Teilen. Sie sollen kein Risiko haben, und wir machen das Geschäft zusammen. Wenn verloren wird, trage ich's allein und zahle in drei Monaten dem gnädigen Herrn die zehntausend Taler zurück.«

Diese Worte des Händlers, so wenig aufregend sie wahrscheinlich in das Ohr des Lesers dringen, klangen dem Freiherrn wie ein Alarmsignal beim unbehaglichen Biwak. Eine heftige Spannung, eine wilde Freude arbeitete in ihm. Kaum hatte er Ruhe genug zu sagen: »Vor allem muß ich wissen, von welcher Art das Geschäft ist, das Sie mit meinem Gelde machen wollen.«

Der Geldmann setzte das auseinander. Es war ihm der Antrag gemacht, eine große Quantität Holz zu kaufen. Das Holz lag auf einem Flößplatz im obern Teile der Provinz. Der Händler holte die Berechnung der Holzmasse, der Transportkosten bis zur[73] Hauptstadt und des Wertes, den das Holz in der Hauptstadt haben würde, aus seiner Tasche und bewies dem Freiherrn, daß dabei in sechs bis acht Wochen ein sicherer Gewinn von bedeutender Größe zu machen sei.

Der Freiherr sah mit Aufmerksamkeit die Menge der Zahlen durch; wenn die Berechnung richtig war, so war der Gewinn sonnenklar, er tat aber doch die bedächtige Frage: »Wie kommt es, daß der Eigentümer des Holzes das Geschäft nicht selbst macht, und daß er sich einen so sichern Gewinn entgehen läßt?«

Der Händler zuckte die Achseln. »Wer ein Geschäft macht, kann nicht immer fragen, warum läßt der andere die Ware so billig? Wer in Verlegenheit ist, kann nicht warten zwei bis drei Monat, das Eis liegt auf dem Fluß, der Mann braucht das Geld binnen hier und drei Tagen.«

»Sind Sie sicher, daß das Eigentumsrecht des Verkäufers unbestreitbar ist?« fragte der Freiherr.

»Der Mann ist mir sicher«, sagte der Händler, »wenn ich ihm das Geld bis heute abend schaffe, ist das Holz mein.«

Dem Edelmann war es peinlich, die Verlegenheit eines andern zu benutzen, sosehr sich auch sein Herz nach dem Gewinn sehnte. Er sagte mit Würde: »Ich halte es für unpassend, auf den Verlust eines andern zu rechnen.«

»Warum soll er haben Verlust?« rief Ehrenthal eifrig. »Er ist Spekulant, jetzt braucht er Geld; vielleicht will er machen ein größeres Geschäft; so muß er den Vorteil am kleinern überlassen einem andern. Er hat sich erboten, gegen zehntausend bar den ganzen Vorrat zu übergeben. Es ist nicht meine Sache, zu fragen, ob er mehr gewinnen kann mit meinem Gelde, als ich gewinnen kann durch sein Holz.«

Was Herr Ehrenthal sagte, war richtig; er verschwieg nur einiges. Der Verkäufer des Holzes war ein unglücklicher Spekulant, der, von seinen Gläubigern gedrängt, eine Auspfändung fürchtete und die unbescheidenen Hoffnungen derselben dadurch beendigen wollte, daß er seine Vorräte an einen Fremden schnell und heimlich verkaufte und mit der erhaltenen Summe unsichtbar wurde. Vielleicht wußte Herr Ehrenthal das; vielleicht ahnte auch der Freiherr, daß es bei einem so leichten Gewinn eine Bewandtnis haben müsse, wenigstens sagte sein Kopfschütteln, daß ihm[74] die Sache keineswegs ganz klar war. Und doch hatte er wenig zu wagen und nichts zu verantworten; er lieh sein Geld an einen sichern Mann, den er seit vielen Jahren als wohlhabend und pünktlich kannte, und gewann dadurch die Aussicht, in kurzer Zeit einen bösen Geist loszuwerden, der ihn rastlos quälte. Er war zu unruhig, um zu überlegen, daß er vielleicht einen Teufel vertreibe durch Beelzebub, der Teufel Obersten. Er klingelte nach seinem Wagen und sagte vornehm: »In einer Stunde sollen Sie das Geld haben.«

Ehrenthal dankte in seiner feurigen Weise für diese große Gefälligkeit, schrieb auf der Stelle einen wohlverklausulierten Sola-Wechsel über die Pfandbriefe und empfahl sich mit einer Untertänigkeit, die sehr gegen das stolze Kopfnicken des Freiherrn abstach.

Seit diesem Tage lebte der Freiherr in banger Erwartung. Immer mußte er an die Unterredung mit dem Händler denken. Wenn er am Teetisch neben seiner Gemahlin saß und über Theater und Konzert geplaudert wurde, irrte seine Seele ratlos zwischen den Lücken der Holzklaftern umher oder wurde von langen rollenden Mastbäumen gedrückt; und wenn er die Arbeitsbücher seiner Tochter durchsah, so starrten ihm auf dem Deckel und am Rande zahlreiche Gesichter Ehrenthals entgegen, und jedes lachte ihn höhnisch an. Sooft er auf seinem Jagdpferde ausritt, richtete sich der Kopf des Pferdes nach dem Strom, und mit finsterm Blick sah der Reiter auf die gefrorene Fläche hinab, sah die Eisschollen stromabwärts treiben und das hohe Frühlingswasser bis an die Steine des Randes fluten.

Ehrenthal hatte sich lange nicht sehen lassen. Endlich, an einem sonnigen Morgen erschien er mit seinen unvermeidlichen Bücklingen, zog ein Paket aus der Tasche und rief triumphierend: »Herr Baron, das Geschäft ist gemacht! Hier sind die Pfandbriefe zurück und hier sind die zweitausend Taler als der Gewinn, welcher auf Sie fällt.«

Die Hand des Freiherrn griff hastig nach dem Paket. Es waren dieselben weißen Pergamente, die er mit so schwerem Herzen aus der Kassette hervorgeholt hatte, und außerdem ein Bündel Kassenscheine. Diesmal hörte der Freiherr kaum auf den Wortschwall des Händlers, eine Last fiel ihm vom Herzen, er hatte[75] seine Pfandbriefe wieder, und der Ausfall an seinen Finanzen war gedeckt. Ehrenthal wurde gnädig entlassen, die Pergamente eingeschlossen, und der Freiherr durfte sich heute keinen Zwang antun, um ein liebenswürdiger Gesellschafter zu sein. Noch an demselben Tage kaufte er der Baronin einen Schmuck von Türkisen, den sie lange im stillen gewünscht hatte.

Seit dem Tage war im Hause des Freiherrn heller Sonnenschein, und wenn es eine Erinnerung an die letzten Wochen gab, so äußerte sie sich nur in Kleinigkeiten. Der Kopf des Halbblutes vermied seit diesem Tage den Strom ebensosehr, als er ihn früher gesucht hatte, und wenn der Reiter auf der Straße von Herrn Ehrenthal gegrüßt wurde, so regte sich wieder ein lebhafter Widerwille gegen den glücklichen Geschäftsmann in seiner Seele, und sehr nachlässig war der Gegengruß, welchen er von der Höhe des Rosses zurückgab.

Aber noch ein dunkler Schatten aus der letzten Vergangenheit sollte über den Freiherrn fallen. Er las in dem Zimmer seiner Frau die Zeitung, als sein Auge auf einen Steckbrief fiel, durch welchen ein verschwundener Holzhändler wegen betrügerischen Bankrotts verfolgt wurde. Er legte das Blatt weg, ein kalter Schweiß trat ihm auf die Stirn. Und er, der furchtlose Kavalier, nahm das Zeitungsblatt vom Tisch fort und versteckte es tief unter die Bücher seines Arbeitstisches. Wenn der Betrüger derselbe Mann war – Ehrenthal hatte ihm keinen Namen genannt – aber wenn er, der Edelmann, durch sein Geld und seinen Gewinn fremde, wohlbegründete Ansprüche verkürzt hatte; wenn er Gehilfe eines Betrugs geworden war, und wenn er für diese Hilfe bezahlt worden war – diese Gedanken waren fürchterlich für sein stolzes Herz. Der Herr ging in der Stube auf und ab und rang die Hände; er eilte zum Schreibtisch, um den Gewinn einzupacken und fortzuschaffen, er wußte selbst nicht wohin, sich von der Seele, weit weg aus seinem Hause. Mit Bestürzung sah er, daß nur noch ein kleiner Teil des Gewinns vorhanden war. Wie gelähmt setzte er sich an den Tisch und legte den Kopf auf seine Hände. Es war etwas in ihm entzweigegangen, das fühlte er, und er fürchtete für immer. Heftig sprang er wieder auf, riß an der Klingel und ließ Ehrenthal zu sich fordern. Zufälligerweise war der Händler verreist. Unterdes sprachen[76] zu dem Freiherrn die freundlichen Stimmen, welche in der Menschenbrust mit klugen und gewählten Worten alles Bedenkliche in ein gutes Licht zu setzen wissen. Wie war die ganze Angst so töricht! Es gab viele hundert Leute am Oberlauf des Stromes, die mit Holz handelten, es war ja ganz unwahrscheinlich, daß gerade jener Betrüger der Mann Ehrenthals sein sollte. Und selbst in diesem Fall, wie groß war sein eigenes Unrecht bei dem ganzen Ereignis? Klein, sehr klein, für einen Geschäftsmann nicht zu erkennen. Ja, selbst Ehrenthal, was konnte er dafür, wenn der Verkäufer das Geld zu einem Betrug verwandt hatte? Es war ja alles ehrlich und gesetzlich gekauft worden. – So sprach es fortwährend begütigend in dem Freiherrn, ach, und welche Mühe gab sich der Herr, all diese Stimmen recht deutlich zu hören.

Als Ehrenthal endlich ankam und hastig zum Freiherrn eilte, trat ihm dieser mit einem Gesicht entgegen, das den Händler wirklich erschreckte. »Wie heißt der Mann, von dem Sie das Holz gekauft haben?« fragte der Freiherr heftig an der Tür.

Ehrenthal stand betroffen, auch er hatte seine Zeitung gelesen und verstand, was in der Seele des Edelmanns vorging. Er nannte einen beliebigen Namen.

»Und wie hieß der Ort, wo das Holz lag?« klang die zweite Frage etwas ruhiger. Herr Ehrenthal nannte einen beliebigen Ort.

»Ist das Wahrheit, was Sie mir sagen?« fragte der Freiherr tief aufatmend zum drittenmal.

Da Herr Ehrenthal sah, daß er einen Kranken vor sich hatte, so behandelte er ihn mit der Milde, welche dem Arzt so gut ansteht. »Was sich der Herr Baron für Sorge machen!« sagte er kopfschüttelnd. »Ich glaube, der Mann, mit dem ich habe gemacht das Geschäft, hat seinen guten Vorteil dabei gehabt. Es sind große Eichenlieferungen ausgeschrieben, dabei sind für einen, der dort oben wohnt, hundert Prozent zu verdienen. Ich glaube, er wird sie haben verdient. Das Geschäft, welches ich mit ihm gemacht habe, ist gewesen gut und sicher, wie es kein Kaufmann von der Hand weisen wird. Und wenn er auch ein schlechter Mensch wäre, was haben Sie, gnädiger Herr, darum zu sorgen? Ich habe keinen Grund gehabt, Ihnen den Namen des Mannes und des Ortes zu verbergen, ich habe Ihnen doch beides[77] damals nicht gesagt, weil nicht Sie gemacht haben das Geschäft, sondern ich. Ich bin gewesen Ihr Schuldner, und ich habe Ihnen zurückgezahlt das Geld mit einer Provision. Mit einer guten Provision, das ist wahr. Ich habe seit Jahren vieles bei Ihnen verdient, warum soll ich nicht zuerst Ihnen den Vorteil gönnen, den ich jedem andern auch gegeben hätte? Was machen Sie sich Sorgen, Herr Baron, um Dinge, die nicht sind!«

»Das verstehen Sie nicht, Ehrenthal«, sagte der Gutsherr freundlicher; »es ist mir lieb, daß die Sache so steht. Wäre der Betrüger jener Mann gewesen, mit dem Sie gehandelt haben, so hätte ich unser Verhältnis abgebrochen, ich hätte Ihnen nie verziehen, daß Sie mich wider meinen Willen zum Mitschuldigen eines Betrugs machten.«

Ehrenthal wurde entlassen, und der Freiherr war von einer schweren Sorge befreit. Er beschloß, sich näher nach jenem beliebigen Namen und dem unbekannten Dorfe zu erkundigen. Er erkundigte sich aber nicht danach; durch die überstandene Angst war ihm die Erinnerung an das Geldgeschäft sehr peinlich geworden, und er mühte sich, gar nicht mehr daran zu denken.

Er war ein zartfühlender, guter Herr, und Ehrenthal war derselben Meinung, denn als er die Treppe hinunterging, murmelte er vor sich hin: Er ist gut, der Baron, er ist gut!

Quelle:
Gustav Freytag: Soll und Haben. München 1977 bzw. 1978, S. 67-78.
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