An Gottlieb Raspern

[148] Liebes Brüderchen.


Du kennest mich so gut als Dich selber, und also bin ich der Mühe überhoben, mit vielen Modewüntschen und Versicherungen meiner Aufrichtigkeit Deiner Gedult im Lesen beschwerlich zu fallen. Vor die von Deiner Güte so redlich und reichlich genoßene Wohlthat hastu Dir meine Danckbarkeit von nun an auf ewig zu versprechen, und vielleicht wird auch einmahl eine Zeit kommen, welche viele Lästerungen meiner Verfolger zu Schanden machen und manchen ofenbahr überführen wird: Günther sey unter allen seinen verdrießlichen Umständen mehr gewesen als geschienen. Gönne mir nur allzeit die von mir bereits erkandte Redligkeit Deines geneigten Gemüthes und glaube, daß ich nebst einer gründlichen Wißenschaft und einer aus Erkäntnüß der göttlichen Allmacht entspringenden Gemüthsruhe von der Welt keine anderen Schäze begehre als den Ruhm auch nur von etlichen rechtschafenen Seelen, daß ich, die Schwachheitsfehler ausgenommen, jeglichem von meinen Nechsten so viel als mir selber gegönnet. Das Glücke, Dich bald wieder brüderlich zu umfangen, werde ich noch ein paar Wochen entbehren müßen. Sende mir nur sobald als möglich eine zulängliche Erzehlung von allem, was sich Zeit meiner Abwesenheit Merckwürdiges zugetragen, nebst meinen zurückgelaßenen Arien (in Sonderheit die: Will ich dich doch gerne meiden &), denen 2. geistlichen Gedichten und was Du sonst etwan Lesens würdiges hast. Daß ich auch nicht das Beste vergeße: Ich habe gehöret, daß der Accis in allem fallen, der Aufschlag aber auf Franzbrandtwein und Knastertaback 3fach höher steigen solle. Mein! Hilf mir doch aus dem Kummer und berichte mich, ob es in der Warheit bestehe. Von unserm Schmiedeberg weis ich Dir nichts Sonderbares in das Ohr zu sagen, außer, daß bisweilen meine Mägdgen, wie die jungen Dinger pflegen, wenn sie der Küzel sticht, von häuslichen Kleinigkeiten und handgreiflichen innerlichen Staats-[149] fehlern etwas zu lachen bekommen. Ein Duzend neu vefertigter Arien, welche schon fast wie die warmen Semmlen abgegangen und die Dir auch in Sonderheit wegen etlicher zärtlichen Melodien gefallen werden, will ich bey nechster Gelegenheit dem Herrn von Beuchelt sowohl als Dir zu geneigtem Urtheil übersenden. Wie ich jezo hier lebe, darüber muß ich Dich wegen der Kürze der Zeit und um eine faule Muh zu ersparen, an den Brief des Herrn Bruder Michaels verweisen. An Deine liebwerthesten Eltern mache nebst schuldigem Danck meine ergebensten Empfehlungen wie auch an alle guten Gönner und Freunde. Lebe wohl und bleib mein Rasper wie ich

Dein Günther.

Quelle:
Johann Christian Günther: Sämtliche Werke. 6 Bände, Band 3, Leipzig 1934, S. 148-150.
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