An eine Gönnerin

[136] Als Babels stolze Grausamkeit

Die Länder gegen Morgen drückte

Und Salems böse Sicherheit

Vom Tempel ins Gefängnüß rückte,

Was schlug nicht da vor Weh und Ach,

Vor Unruh, Angst und Ungemach

Die Herzen der gestraften Sünder!

Was fühlten doch nicht dazumahl

Vor Jammer, Schande, Groll und Qual

Die sonst verstockten Jacobskinder!


Der Schmuck von Zion war ein Raub

Und diente blos zum Spott der Heiden,

Der Altar lag voll Eis' und Staub,

Die Harfen schwiegen an den Weiden.

Solch Elend stieg fast sechzig Jahr,

Bis Cyrus Jacobs Beystand war

Und Juda schon in Hofnung lachte,

Sobald Erlösung, Hülf und Rath

Mit Friedensbothen näher trat

Und Klag und Weh zum Jauchzen machte.


Wer diese Lust begreifen kan,

Die Abrahams Geschlecht empfunden,

Der komm und seh die Thränen an,

Die ich fast täglich ausgewunden.

Sie floßen vor aus Angst und Leid,

Sie fließen jezt vor Zärtligkeit

Der endlich aufgeweckten Sinnen,

Die nach der Länge starcker Noth

Vor den so oft gewüntschten Tod

Den Himmel auf der Welt gewinnen.
[137]

Die Kirche glaubt kein Wunder mehr,

Ich muß es doch gezwungen glauben;

Die Schickung schlug mich allzu sehr,

Sie lies mir alle Zuflucht rauben;

So weit ich lief, so weit ich sah,

War stets ein größer Schröcken da,

Und alles gieng mir zum Verderben.

Was auch dem Ärmsten übrig bleibt

Und Sclaven noch den Gram vertreibt,

Die Hofnung mein ich, rieth zum Sterben.


Ich fand mich auch gelaßen drein

Und lies schon Wuntsch und Sehnsucht fahren

Und schrieb auf meinen Leichenstein:

Hier fiel das Alter vor den Jahren.

Mein Leser, nimm dies Räthsel mit

Und wiße, was dein Fuß hier tritt,

Das war vordem ein Herz voll Liebe,

Das die Natur hervorgebracht,

Damit der Zorn von ihrer Macht

Ein Zeugnüß seiner Stärcke schriebe.


Dein Blat erspart mir diese Schrift,

Dein Blat, du Engel meiner Plagen,

Das gleich die rechte Stunde trift,

Du magst dir selbst das andre sagen.

Ich bin vor Freuden außer mir,

Und diese Freuden hab ich dir,

Du weist warum, allein zu dancken.

Das Glücke scheint vor mich zu groß,

Ach, sprich doch Hand und Feder los,

Wofern sie vor Entzückung wancken.


Nun wird sich meine Musenschaar

Den blinden Haß nicht irren laßen,[138]

Dein Haupt wie Berenicens Haar

Mit neuen Sternen einzufaßen.

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Der Tag des Heils ist in der Näh,

Dein frommer Sinn, die Unschuldstaube,

Kommt nach der Sündfluth, wie ich seh,

Mit einem Mund voll Friedenslaube.

Ach arm-, doch treue Poesie,

Umfang doch der Debora Knie,

Die deinen Feinden Troz gebothen;

Ach, Kind, begehr kein Widergelt,

Du mehrst ihr Leben auf der Welt,

Und sie erweckt dich von den Todten.


Sie, sag ich, baut, erhöht und schüzt

Das Denckmahl deiner Schönheitsgaben;

Drum glaube, was du ihr genüzt,

Doch nicht umsonst gethan zu haben.

Mein Wißen schlägt durch dich den Neid.

Ach, eile doch, gewüntschte Zeit,

Und bring mich [Leonoren] wieder!

Sie fragt, was sie gewärtig sey:

Im Leben meiner süßen Treu,

Im Grabe meiner Ehrenlieder.

Quelle:
Johann Christian Günther: Sämtliche Werke. 6 Bände, Band 3, Leipzig 1934, S. 136-139.
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