Auf das Nahmensfest seines Vaters

[13] Den 21. Junii. An. 1714.


Die Einfalt paaret sich mit meiner Redligkeit,

Die jezt, mein Vater, dir ein schlechtes Opfer weiht.

Nimm mit geneigter Hand den Erstling meiner Lieder

Vor deine Vatertreu von meiner Unschuld wieder!

Du siehst das gute Herz, du kennest meinen Sinn,

Ich aber weis auch dies, daß ich dein Schuldner bin,

Und würde, könt ich gleich dein Bild in Marmor graben,

Dir doch das wenigste dadurch vergolten haben.

Das Leben, welches ich nechst Gott von dir empfing,

Die Boßheit, der mein Fuß durch deinen Fleiß entgieng,

Sind Ursach, daß mein Geist die Warheit angenommen:

Im Lieben weis kein Kind den Eltern beyzukommen.

Wie manchen Sommertag, wie manche Winternacht

Hat meine Kindheit dir betrübt und schwer gemacht!

Kein Tropfen saurer Schweiß, der oft so unverdroßen

Bey überhäufter Müh mir auf das Buch gefloßen,

Gereute deinen Mund, wenn ich zur Seiten saß,

Und meinen . . . . . . . . den goldnen Maro las.

Ach Vater, Vater ach, ich wüntschte deine Lehren

Anjezo wie zuvor mit Wollust anzuhören.

Der Kern der Gottesfurcht, den du mir eingeprägt,

Hat mir den rechten Grund des Christenthums gelegt,

Und deine Wachsamkeit war früh und spät beflißen,

Die Weißheit und ihr Oel mir in das Herz zu gießen.

Was der Befehl gebaut, reißt oft der Wandel ein.

Der Eltern Boßheit pflegt der Kinder Spiel zu seyn,

Die sich das wilde Fleisch zum Bösen führen laßen

Und hundert Laster eh als eine Tugend faßen.

Weil deinen Worten nun die That zu Hülfe kam

Und Lehr und Leben stets mit in die Schule nahm,

So will der Zweifel sich mit meiner Beßrung zancken,

Wem doch von beiden ich mein Wohlergehn zu dancken.

Mein Vater, glaube nicht, daß mir die Schmeicheley

Zu dieser treuen Schrift den falschen Kiel verleih;[14]

Der Himmel zeuget mir, daß mich die reine Liebe

Vor dich zur Danckbarkeit durch Fluth und Feuer triebe.

Der Seegen breite sich auf dich und unser Haus

So wie ein Feigenbaum in Jacobs Erbtheil aus

Und laße dich so viel vergnügter Jahre zehlen,

Als Stunden mir noch jezt zu Nestors Alter fehlen.

Ich küße dir nunmehr die wohlbetagte Hand,

Die mir in Lieb und Ernst die erste Ruthe band,

Sie hat mich in der Furcht des Höchsten auferzogen,

Daß mich die Eitelkeit durch keinen Schein betrogen.

So lange dir und mir die Augen ofen stehn,

So lange soll dein Lob mir von der Zunge gehn;

Wird endlich mich der Tod aus dieser Welt verweisen,

So will ich deinen Fleiß vor jenem Richter preisen.

Quelle:
Johann Christian Günther: Sämtliche Werke. 6 Bände, Band 3, Leipzig 1934, S. 13-15.
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