An Herrn Brandenburg aus Mecklenburg, S.S. Theol. Stud. in Leipzig

[69] Dresden, den 16. Aug. 1719.


Freund, welchen Fleiß und Geist vom Pöbel unterscheidet,

Freund, dem der Musen Gunst vor tausend andern lacht,

Freund, deßen Tugend blos der Prüfung wegen leidet

Und deßen Redligkeit sich nie zur Larve macht,

Nimm, was mir selbst gebricht, Zufriedenheit und Glücke

In Reimen ohne Kunst und Wüntschen treuer Hand.

Wen Noth und Schwermuth plagt, der singt kein Meisterstücke,

Und wie es Günthern geh, ist allemahl bekand.

Nichts sieht man in der Welt, es hat gemeßne Gränzen;

Der Morgen jagt die Nacht, der Mond das große Licht,

Der Marmor weicht der Zeit, der Winter vor dem Lenzen,

Nur dies mein Elend bleibt und weicht und ändert nicht.

Vorwahr, ich Schmerzenskind, ich unglücksvolle Bürde,

Kam unter Angst und Blut der Mutter sauer an,

Nur darum, daß an mir der Welt gewiesen würde,

Wie grausam und wie starck die Allmacht zürnen kan.

Doch geht mir nichts so nah, so viel ich sonst auch trage,

Als daß mich Hohn und Neid der Strafe würdig nennt

Und daß kein einziger den Ursprung solcher Plage

Noch deßen Heftigkeit noch jeden Umstand kennt.

Das kan ich leicht gestehn, ich bin ein Mensch wie alle

Und hab aus Unverstand und Jugend viel versehn,

Allein, wer zeigt mir wohl den Freybrief vor dem Falle?

Mein Fehler ist und wird noch oftermahls geschehn.

Die Noth macht freylich tumm, und wen die Sorgen kräncken,

Der hat Gemüth und Hand von andrer Arbeit voll,

Als daß er mit Vernunft auf Rath und Rettung dencken

Und sonder falsche Wahl die Mittel trefen soll.

Ein Mensch, dem Hiz und Schmerz der Sinnen Kräfte brechen,

Vergießt vor Thränen Blut, nimmt Gift vor Mithridat

Und schadet sich oft selbst. Wer will es aber rächen?

Die Kranckheit und nicht er begeht die Mißethat.

Man wird so wie ein Schif von Stürmen hingerißen,[70]

Man ist den Träumenden im Fantasieren gleich,

Man kriegt aus Ungedult ein schläfriges Gewißen

Und sündigt durch den Fluch auf jeden Unglücksstreich.

Denn da ich endlich seh, wie wenig mein Gemüthe,

Das andern gern vergiebt, Entschuldigung erhält,

Da gar kein treuer Freund und keines Gönners Güte,

So gut er helfen kan, mein Herz zufrieden stellt,

Da Neid und Heucheley mich blos aus Boßheit richten,

Da Lügen und Betrug noch täglich Neze strickt,

Da die, so Tag und Nacht auf krumme Räncke dichten,

Geiz, Ehbruch, Thorheit, List mit weichen Kleidern schmückt,

Da Wachen, Sorg und Müh mir kaum das Brodt erwerben,

Da alles, was ich thu, den guten Zweck betriegt,

Da Stümper prächtig gehn und Weisen Hungers sterben

Und da mein Glücke schon fünf Jahre schlafen liegt,

So werf ich endlich auch den Ancker aus den Händen

Und las es wie es will ohn alle Sorgfalt gehn.

Man mag mich treten, ziehn, verstoßen, schmähn und schänden,

Ich zwing es mich verstockt und lachend auszustehn.

Ich werde nicht mehr roth, ich suche keinen Tittel,

Verachte Kunst und Fleiß, schlag Ehr und Schimpf in Wind

Und halte mich nun mehr an andre Freyheitsmittel,

Die über die Vernunft des Aberglaubens sind.

Es feßelt mich kein Zwang gemeiner Sittenlehren,

Ich seh der Sachen Lauf mit andern Augen ein

Und glaube, sonder Lust d . . . . . . . . . . . anzuhören,

Daß zwey mahl fünfe zehn und Narren glücklich seyn.

Nun dauret mich nichts mehr, als daß ich soviel Kräfte

Vor andrer Wohlergehn durch Kunst und Müh verzehrt

Und daß ich nicht das Marck der ersten Jugendsäfte,

So hätt ich was davon, der Fleischeslust gewährt.

So fluch ich Hiob nach bey allzu langen Schmerzen,

Mein Gott, gedencke nicht der Sünden meiner Noth.

Freund, bistu, was du scheinst, und liebstu mich von Herzen,

So wüntsch und gönne mir Erbarmung oder Tod.

Indeßen, weil ich noch mein naßes Elend bauen[71]

Und durch viel Creuz und Weh mein Leben schleppen muß,

So las mich deiner Huld in allem Wetter trauen;

Ein weiser Freund wie du verjagt gar viel Verdruß.

Es macht uns gleicher Sinn und eine Noth zu Brüdern;

Nur schade, daß ich dich nicht mündlich trösten kan.

Gefällt dir auch ein Plaz in meinen Klageliedern,

So feure mich noch mehr durch Lieb und Zuschrift an.

Nur fodre keine Kunst. Der Wurm verdirbt die Bücher,

Die Faulheit frißt den Stahl, der Regen Fels und Stein,

Das Alter und der Staub zerreißt die stärcksten Tücher;

So geht der Musen Lust bey langer Trübsahl ein.

Dies werd ich jezt gewahr, jezt, da ich Friedrichs Wunder,

Jedoch nur überhaupt, am Pindus singen will.

Sein Hof und sein Verdienst giebt Willen, Zeug und Zunder,

Und dennoch steht das Blut in Herz und Adern still.

Denn reiz ich gleich den Kiel zur Rechnung hoher Thaten,

So seh ich gleichwohl nichts, als was die Ohnmacht schreibt.

Du köntest, großer Carl, den armen Künsten rathen,

Was aber hilft August, den kein Mäcenas treibt?

Kan etwas auf der Welt des Kummers Schärfe lindern,

So kan es Brandenburg und deßen Liebe thun,

Und wiltu, edler Freund, den lezten Fall verhindern,

So las doch deinen Trost nicht ganze Wochen ruhn.

Vergißt nur du mich nicht, so lern ich leicht vergeßen,

Daß Scham und Eigennuz die nechsten Freund entziehn

Und alle, denen ich viel Wohlthat zugemeßen,

Jezt als ein Schwalbenheer bey nahem Herbste fliehn.

Las auch den Amaranth mein hart Verhängnüß wißen

Und flicht ihn, wenn du kanst, in unser Bündnüß ein.

Verdient ein schmachtend Herz der Stärckung zu genüßen,

So schickt mir öftren Trost von euren Musen ein.

Erhalt ich neue Kraft und kommen beßre Zeiten,

So soll mein Lauthenspiel auch euch zu Dienste stehn

Und, geht ihr glücklich vor, mit nachgestimmten Saythen

Durch euren Lorbeerkranz mein Epheulaub erhöhn.

Verbiethet es mein Grab, so würdigt mich der Ehre

Und führt mich hin und her in euren Liedern an,[72]

Damit nur noch ein Ohr der späten Nachwelt höre,

Wie unrecht Glück und Neid an meiner Kunst gethan.

Quelle:
Johann Christian Günther: Sämtliche Werke. 6 Bände, Band 3, Leipzig 1934, S. 69-73.
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