Die Selbstzufriedenheit

[150] In der Ruh vergnügter Sinnen

Steckt das höchste Gut der Welt,

Und dies Kleinod zu gewinnen,

Braucht man weder Staat noch Geld,

Weil ein jeder stündlich sieht,

Daß, wer heute trozt und blüht,

Morgen oft am Ruder zieht.


Eußerliche Pracht und Güter

Sind ein Schein verdeckter List,

Die vor niedrige Gemüther

Ein geschmücktes Fallbret ist.

Wer hier blind und sicher tritt,

Deßen unbedachter Schritt

Nimmt die Reu in Abgrund mit.


Was uns bey noch grünen Jahren

Zärtlich und galant entzückt,

Ist ein Kram voll schöner Wahren,

Die der Zeiten Flucht entrückt,

Da denn oft der beste Kuß

Durch des Alters Überdruß

Wein zu Eßig machen muß.


Gleichwohl darf kein thöricht Grämen

Solchen Lauf verzagt beschreyn;

Was uns Zeit und Vorsicht nehmen,

Bringt die Hofnung stündlich ein;

Denn ein Herze kluger Brust

Macht, so viel du leiden must,

Sien bey allen eine Lust.


Mir zu Liebe fängt das Glücke

Wohl nicht erst was Neues an,

Da kein sterblich Flehn die Tücke[151]

Seines Eifers beugen kan.

Ob es nicht so stürmisch thu,

Singt mein Geist bey stiller Ruh

Doch ein höhnisch Lied darzu.


Immerhin, ihr wilden Grillen!

Nichts erwirbt euch mein Gehör;

Ihr verderbt Verstand und Willen,

Aber mir wohl nimmermehr.

Unter der Ergözligkeit

Einer Selbstzufriedenheit

Rührt mich weder Gram noch Neid.

Quelle:
Johann Christian Günther: Sämtliche Werke. 6 Bände, Band 2, Leipzig 1931, S. 150-152.
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