Als er Gott um Beständigkeit im Guten anflehte

[216] Welch süß- und holder Gnadenstrahl

Verwandelt mich von innen?

Was raubt mir so bald auf einmahl

Die alten Wüntsch und Sinnen?

Mein Herz ist froh, mein Geist wird frey

Und reißt der Lüste Band entzwey,

An dem er starck gehangen.


Ach Gott, erhalt den guten Trieb

Und treib aus Funcken Flammen;

Jezt hab ich deine Rechte lieb,

Jezt lern ich mich verdammen,

Jezt find ich Lust in Creuz und Pein:

Die Seele muß geläutert seyn

Und über Felsen steigen.


Las jezo die Barmherzigkeit,

Mein Vater, dich nicht halten,

Nein, las vielmehr durch Schlag und Leid

Mein festes Herz zerspalten,

Schmeis deinen Zorn in Fleisch und Blut,

Weil so ein Schmerzen linder thut

Als Balsam auf der Scheitel.


Mein ewig Glücke kan kaum blühn,

Wofern ich ruhig lebe

Und, dort den rechten Schaz zu ziehn,

Mich nicht der Welt begebe.

Gewohnheit ist ein eisern Kleid,

Zerreiß es durch die Traurigkeit

Gewaltig starcker Pfeile.


Verflucht sey Sorgen, Fleiß und Zeit,

Die ich der Welt verpfändet[217]

Und auf den Dienst der Eitelkeit

So sinnlos angewendet,

Verflucht sey alle Wißenschaft,

Die nicht mit deiner Weißheit Kraft

Des Nechsten Heil gebeßert!


Mein Heiland, hilf mir wider mich

Mit deiner Demuth kämpfen

Und lehre mich vernünftiglich

Auch fremde Schwachheit dämpfen!

Komm, stelle meine Sünd ans Licht

Und las dein holdes Angesicht

Mich stets zur Beßrung reizen.

Quelle:
Johann Christian Günther: Sämtliche Werke. 6 Bände, Band 2, Leipzig 1931, S. 216-218.
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