Cantata die Vergnügung einer gläubigen Seele bey der Geburth ihres Heilandes

[170] Aria.


Weint, ihr Sünder, weint vor Freuden,

Jauchzt, ihr Völcker, kommt, ihr Heiden,

Bethet euren Leitstern an!

Kommt, hier scheint er in dem Stalle,

Kommt, hier zeigt er nach dem Falle,

Was uns wieder heben kan.

Weint, ihr Sünder, weint vor Freuden,

Jauchzt, ihr Völcker, kommt, ihr Heiden,

Bethet euren Leitstern an!


Recitat.


Gott wird ein Mensch.

Das leugnet die Vernunft,

Das fast allein der Glaube.

Die Unschuld eilt zur Wiederkunft

Und bringt wie Noä Taube

Das Zeichen der verlaufnen Sündfluth mit.

Die Schlange fühlt, was ihr den Kopf zertritt;

Es ist des keuschen Weibes Saamen,

Vor deßen Nahmen

Der Tod erschrickt,

Die Hölle bebet

Und alle Völcker dieser Erden

Erlöst und seelig werden.

Gott wird ein Mensch,

Gott läst sich wiegen,

Gott kleidet sich in unser Fleisch und Blut.

O Botschaft voll Vergnügen!

So hört und seht, wie Liebe Wunder thut!


Aria.


Wo gehn die Schwäne mit den Raben,

Gerechte mit der Boßheit um?[171]

Gott thut's mit sündlichen Geschöpfen

Und macht aus bösem Thon und Töpfen

Gefäße vor sein Heiligthum.

Wo gehn die Schwäne mit den Raben,

Gerechte mit der Boßheit um?


Recitat.


Und dies thut Gott und seine Liebe.

O unaussprechlich süße Triebe

Ganz unverdienter Huld!

Der Heiligste von allen Menschenkindern

Verbindet sich mit Sündern

Und übernimmt die fremde Schuld

Mit unsrer niedrigen Gestalt.

Gott wird nicht alt

Und Gott wird gleichwohl jung.

O hoh' Erniedrigung,

O schöne Post voll Wunderwercke,

O wahres Widerspiel!

Nun kriegt die Schwachheit Stärcke,

Nun sieht der Väter Sehnsucht auch ihr Ziel,

Nun findet die Verzweiflung Rath,

Nun flieht die Mißethat,

Nun blüht das Heil der Frommen,

Nun werden die Verfolgten aufgenommen,

Nun wird das schmerzliche Verlangen

Von Simeon mit Armen aufgefangen,

Nun stirbt der Tod, nun sind wir frey,

Und sieh, so ist nun alles neu.


Aria.


O güldene Zeiten, o seelige Stunden!

Der Alte der Tage wird jezund ein Kind,

Durch welches die Erde den Himmel gewinnt;

Nun werden des Belials Bande gebunden.[172]

Jauchzt, Völcker, kommt, Heiden, beweint den Verlust

Und ehret den König aus Davids Geblüte

Und ehrt ihn und liebt ihn mit reinem Gemüthe

Und bähnt ihm den Einzug in Herzen und Brust!

Quelle:
Johann Christian Günther: Sämtliche Werke. 6 Bände, Band 2, Leipzig 1931, S. 170-173.
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