Über die Worte: Herr, wenn ich nur dich habe etc.

[231] Herr, glaube mir und meinem Glauben,

Der dich allein verehrt und kennt

Und wider Satans Zorn und Schnauben

Durch deine Kraft im Stillen brennt:

Du bist, was in der großen Welt

Mir einzig und allein gefällt.


Ich seh die Wercke deiner Hände,

Sie sind vollkommen, schön und gut.

Die Ordnung all- und jeder Stände

Beweist, was deine Vorsicht thut,

Durch welche warlich nichts geschieht,

Als was uns Lust und Vortheil zieht.


Du hast die Erde fest gegründet

Und lauter Wunder dargestellt,

So daß sich auch kein Stäubchen findet,

Aus welchem nicht dein Bild erhellt,

Ein Bild von deiner Güt und Macht,

Die nichts umsonst hervorgebracht.


Dein Himmel hat noch größre Schäze

Und Wollust sonder Eitelkeit,

Die die Erlösung vom Geseze

Dem Glauben schon in Hofnung beuth.

O unausprechlicher Genuß

Von Freuden und von Überfluß!


Doch zeigt der Himmel und die Erde

Mir keine Lust so reizend an,

Als wenn ich dir vereinigt werde

Und deiner Huld genießen kan,

Weil da, wo du, o Gott, nicht bist,

Der Himmel selbst kein Himmel ist.
[232]

Verstoß mich, wenn du wilst, zur Höllen;

Die Liebe, so mich dir vermehlt,

Versüßt des Feuers Schmerzensquellen,

Das blos den bösen Willen quält;

Erlaubstu mir dein Angesicht,

So fühl ich die Verdammnüß nicht.


Der Rache Bliz schlägt ins Gewißen,

Die Sünden überdecken mich,

Die Seele schreyt von stummen Bißen

Und kämpft bald vor, bald wider sich,

Der Mund verdorrt, die Zunge klebt,

Weil Marck und Bein vor Schröcken bebt.


Dies nennt ein Weltkind Höllenschmerzen,

Ich aber nenn es Seeligkeit;

Denn du, o Herr, gewährst dem Herzen

Die zärtlichste Gelaßenheit

Und wirfst der innerlichen Ruh

Durch Qual und Trost viel Nachdruck zu.


Vom Glücke werd ich nur vergebens

Mit Lust gelockt, mit Zorn erschröckt;

Denn wer die Kräfte jenes Lebens

Wie ich in deiner Liebe schmeckt,

Der hat sein unvergänglich Heil.

Was will ich mehr? Der Herr mein Theil.

Quelle:
Johann Christian Günther: Sämtliche Werke. 6 Bände, Band 2, Leipzig 1931, S. 231-233.
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