In eine Biebel, welche er einem Frauenzimmer schenckte

[249] Hier hastu, schönes Kind, den herrlichsten Roman,

Aus dem die Keuschheit selbst viel Keuschheit lernen kan;

Er ofenbahret dir die heilig-reinen Triebe,

Zusamt der Süßigkeit der allerhöchsten Liebe.

Verwirf das schöne Gift, so aus der Geilheit säugt

Und durch den stummen Brand sogar die Seelen tödtet;

Schau, wie die Sulamith vor Scham und Zorn erröthet,

Wenn Dinens Vorwiz sich den Landestöchtern zeigt.

Fleuch diese, folge der zum Myrrhenberge nach,

Wo Sarons Rose blüht und wo der Lebensbach

Und Ströme vor den Durst gequälter Sehnsucht fließen.

Du bist ja auch wie sie des Himmels reine Braut,

Mit der sich Gottes Kind von Ewigkeit vertraut;

Sey wachsam und vergnügt, den Bräutigam zu küßen.

Er kommt und etwan bald, drum schmücke deinen Geist

Mit Golde wahrer Treu und mit dem Glaubenssiegel

Und, da die Frömmigkeit der Seelen Schönheit heist,

So schmücke dich damit und sieh in diesen Spiegel.

Quelle:
Johann Christian Günther: Sämtliche Werke. 6 Bände, Band 2, Leipzig 1931, S. 249-250.
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