Die gepriesene Demuth

[6] Wer die Erde recht beschaut,

Findet einen weiten Garthen;

Hier wächst manch gesundes Kraut,

Hier sind Blumen vieler Arten,

Doch der Demuth edle Zier

Geht fast allen andern für.


Demuth hemmt der Misgunst Gift

Und den kalten Brand der Sünden;

Wer ohn ihren Leitstern schift,

Wird den Hafen schwerlich finden.

Demuth biethet Glück und Heil

Aller Welt umsonste feil.


Hoffart, Stolz und Übermuth

Sind Propheten unsres Falles,

Demuth bleibt das höchste Gut;

Wer sie darbt, dem mangelt alles.

Demuth wird durch Einfalt klug

Und betrieget den Betrug.


Demuth haßet Lob und Ruhm,

Demuth herrscht auch in dem Kittel,

Demuth ist ihr Eigenthum

Und ihr selbst der gröste Tittel,

Demuth übersteigt den Neid

Auch in ihrer Niedrigkeit.


Pappelsträuche rührt kein Bliz,

In die Eichen schlägt das Wetter;

Ja, der Demuth Schattensiz

Trozt die sichern Lorbeerblätter,

Wenn der Himmel brennt und kracht

Und die Erde furchtsam macht.
[7]

Edle Demuth, wer dich hat,

Tauschet nicht mit Mogols Schäzen.

Manchen kan ein rauschend Blat

In die gröste Furcht versezen.

Dies bleibt doch das beste Zelt,

Wo die Demuth Wache hält.

Quelle:
Johann Christian Günther: Sämtliche Werke. 6 Bände, Band 2, Leipzig 1931, S. 6-8.
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