Der sich selbst Tröstende

[81] Du bist wohl recht, du menschlich Herze,

Ein trozig und verzagtes Ding:

Dein Glauben wanckt in kleinem Schmerze,

Und da es dir nach Wuntsche gieng,

Da schwall dein wildes Fleisch und Blut

Von Geilheit und von Übermuth.


Wo schreibt der Thon dem klugen Töpfer,

Ein grobes Holz dem Künstler vor?

Du murrest wider deinen Schöpfer

Und rüttelst sein geduldig Ohr,

Als wäre dies geringe Leid

Ein Zeugnüß scharfer Grausamkeit.


Du hast wohl Ursach, viel zu klagen;

Besieh dich doch nur um und an!

Wer hat dich als ein Kind getragen?

Dies hat der Mutter Schoos gethan.

Wer aber gab der Mutter Kraft?

Der Herr, der allen Nahrung schaft.


Wie vielmahl bistu nicht geglitten

Und hast den Fall gesund belacht?

Wer hat dich an Vernunft und Sitten

Der klugen Welt beliebt gemacht?

Durch weßen Gnade trägstu noch

Des armen Lebens schweres Joch?


Ach unerkenntliches Gemüthe!

Wer hat an solcher Unruh Schuld?

Du selbst und nicht des Höchsten Güte.

Was darbstu? Gar nichts als Gedult.

Ach köntestu vergnüglich seyn,

So sähstu deinen Reichthum ein.
[82]

Du siehst den Tisch der reichen Praßer,

Und daran ärgert sich dein Mund?

Du aber bist bey Korn und Waßer

An Gliedern und Verstand gesund.

Wer dies besizt und mehr begehrt,

Ist deßen, was er hat, nicht werth.


Vielleicht verdient es mancher beßer

Und leidet noch wohl ärger Noth;

Wie manchen reizen Strick und Meßer

Bey Kleien, Rind und Eichelbrodt;

Beklagt nicht jezt so manches Land

Den allgemeinen Jammerstand?


Du hast Verfolger. Nun, was weiter?

Und nirgends einen wahren Freund.

Was macht's? Der Himmel scheint nicht heiter.

Gut, sey nur nicht dein gröster Feind

Und werde, wenn dich alles hast,

Dir auch nicht endlich selbst zur Last.


Du siehst in Arbeit und Studiren

So wenig Glück als Hofnung blühn.

Halt an und schweig und las dich führen,

Die Vorsicht weis emporzuziehn.

Betriegt auch dies, so ist ja schon

Die Weißheit an sich selbst ihr Lohn.


Ja fräß ich nur von groben Thoren

Nicht so viel Schimpf und Unrecht ein

Und müst ich in des Pöbels Ohren

Nicht überall ein Mährchen seyn!

Verlache sie und beßre dich,

Die Zeit verändert wunderlich.


Der Himmel scheint mich selbst zu laßen.

Er scheint auch nur, verzage nicht.[83]

Da andre Scherz und Lust umfaßen,

Giebt mir die Jugend wenig Licht,

So freu dich auf gewiße Ruh,

Sie sagt dem Alter beßer zu.

Quelle:
Johann Christian Günther: Sämtliche Werke. 6 Bände, Band 2, Leipzig 1931, S. 81-84.
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