Nach der Beichte an seinen Vater

[107] Mit dem im Himmel wär es gut,

Ach, wer versöhnt mir den auf Erden?

Wofern es nicht die Liebe thut,

Wird alles blind und fruchtlos werden,

Wer glaubt wohl, hartes Vaterherz,

Daß so viel Unglück, Flehn und Schmerz

Der Eltern Blut nicht rühren sollen?

Ich dächt, ich hätt in kurzer Zeit

Die allerhärtste Grausamkeit

Blos durch mein Elend beugen wollen.


Ich bin und bin auch nicht verwaist;

Dies Räthsel kostet mich viel Thränen.

Ach Vater, bistu, was du heist,

So höre mein gerechtes Sehnen.

Ich küße dich mit Mund und Hand;

Du kanst ja wohl dies Ehrfurchtspfand

Nicht ganz und gar zurückeschlagen.

Verschmähst auch du dies Lösegeld,

Zu welchem soll ich auf der Welt

Mehr Neigung, Herz und Zuflucht tragen?


Ich bitte, prüfe Straf und Schuld.

Dein Eifer streckt sich in die Länge,

Er stiehlt mir aller Gönner Huld,

Er mehrt der Feinde Spott und Menge,

Mein künftig Wohlseyn geht in Grund.

Verleumdet uns der Eltern Mund,

Was wollen Fremde thun und glauben?

Behält dein Herz noch eine Spur

Der ehmahls gütigen Natur,

So mustu mir die Frag erlauben:


Wer sündigt mit Entschuldigung,

Der alle Rechte Statt vergönnen?[108]

Die Strafe dient zur Beßerung,

Ja, wenn wir sie gebrauchen können;

Allein, wer gar zu Boden liegt

Und nirgends Rath noch Hülfe kriegt,

Der ist den Krancken beyzuzehlen,

Die, wenn der Brand das Haupt gewinnt,

Ohn eigne Schuld vernunftlos sind

Und Gift vor Mithridat erwehlen.


Was bringen dich vor Laster auf,

Und was vor Boßheit reizt die Rache?

Was ist, wodurch mein Lebenslauf

Der Eltern Zucht zu Schanden mache?

Ich falle, ja, wie jeder fällt,

Dem Fleisch und Jugend Neze stellt;

Und hätt ich etwas Grobs begangen,

So würde nach bewiesner That

Ein Strafbrief und geheimer Rath

Viel mehr als Fluch und Schimpf verfangen.


Was zwischen uns vor Streit geschehn,

Was darf denn dies die Misgunst hören?

Sie wird sich desto stolzer blehn,

Auch dir gereicht es nicht zu Ehren,

Sie misbraucht deinen frommen Sinn

Und schwärzt mich anders als ich bin.

Ach schone doch dein eignes Herze.

Der Himmel weis, ich klage dich;

Du weinst und traurest über mich

Und machst dir Lüg und List zum Schmerze.


Sieh endlich, wenn du ja so wilst,

So will ich mich verloren nennen

Und, weil du mich in Larven hüllst,

Auch mehrers, als ich weis, bekennen.

Hält Demuth oft die Tyranney

Und macht die Buße Sclaven frey,[109]

So muß auch dir das Herze brechen.

Ich falle dir in Zorn und Arm,

Ach, Vater, Vater, ach erbarm

Und las die Thränen weiter sprechen.


Du hast mit großer Lieb und Müh

Gezeugt, ernährt, gelehrt, gezogen,

Und daß ich schon an Künsten blüh,

Das zeigt, dein Fleiß sey nicht betrogen.

Verwirfstu jezo deinen Sohn,

So kommstu endlich um den Lohn:

Wer wird dein Trost im Alter bleiben?

Wer wird dein Frommseyn und dein Leid,

Dein Wohlthun, deine Redligkeit

Der Nachwelt zum Exempel schreiben?


Ach, mach uns nicht das Ende schwer,

Ich will mit Lust noch größre Plagen,

Und wenn es selbst dein Sterben wär,

Als solchen Haß noch länger tragen.

Der Nothzwang lehrt uns freylich viel.

Versöhnt dich weder Mund noch Kiel,

So ist doch nichts umsonst geschrieben;

Die Welt erfährt den treuen Sinn,

Womit ich dir ergeben bin,

Du magst mich haßen oder lieben.

Quelle:
Johann Christian Günther: Sämtliche Werke. 6 Bände, Band 2, Leipzig 1931, S. 107-110.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Gedichte
Gesammelte Gedichte
Die schönsten Liebesgedichte (insel taschenbuch)
Gedichte Von Johann Christian Günther (German Edition)

Buchempfehlung

Stifter, Adalbert

Feldblumen

Feldblumen

Der junge Wiener Maler Albrecht schreibt im Sommer 1834 neunzehn Briefe an seinen Freund Titus, die er mit den Namen von Feldblumen überschreibt und darin überschwänglich von seiner Liebe zu Angela schwärmt. Bis er diese in den Armen eines anderen findet.

90 Seiten, 5.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Romantische Geschichten II. Zehn Erzählungen

Romantische Geschichten II. Zehn Erzählungen

Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Michael Holzinger hat für den zweiten Band eine weitere Sammlung von zehn romantischen Meistererzählungen zusammengestellt.

428 Seiten, 16.80 Euro

Ansehen bei Amazon