Um Beständigkeit

[94] Liebster Heiland, dencke doch,

Satan kommt mit neuen Stricken.

Erstlich suchte mich sein Joch

Durch die Wollust zu berücken,

Da die List nichts richten kan,

Sezt er mit Verzweiflung an.


Mein Gewißen weckt er auf,

Läst sich alle Sünd erzehlen,

Will mich durch den Lebenslauf

Der begangnen Thorheit quälen

Und verstärckt mit Höll und Tod

Die Gefahr der lezten Noth.


Wein und schrey dich stumm und blind!

Also schwazt der Seelengeyer.

»Vor ein solch verruchtes Kind

Hält dein Gott seyn Blut zu theuer,

Buße, Beßrung und Gebeth

Sind jezt Ohnmacht und zu spät.


Doch, mein Heiland, dencke nicht,

Daß er unsre Liebe scheide;

Meines Glaubens Zuversicht

Trozt in deinem Unschuldskleide

Satan, Hölle, Tod und Welt,

Wenn auch alles bricht und fällt.


Wär auch meine Schuld so groß

Als des ganzen Volcks zusammen,

Sündigt ich auf Gnade los,

Hülf ich dich in Tod verdammen,

Ja begieng ich noch zur Zeit

Aller Laster Mögligkeit,
[95]

Dennoch suchten Ernst und Reu

Dich, du Vorspruch aller Armen,

Und versprächen sich dabey

Ein gewaltiges Erbarmen.

Dein Verdienst gilt ewiglich,

Und in dieses hüll ich mich.


Klopft die lezte Botschaft an,

Geh ich freudig von der Erden;

Wenn dein Wort nicht lügen kan,

Muß mir Heil und Himmel werden.

Kämen auch nur zween hinein,

Will ich doch der andre seyn.

Quelle:
Johann Christian Günther: Sämtliche Werke. 6 Bände, Band 2, Leipzig 1931, S. 94-96.
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