Er erinnert sich der vorigen Zeiten und guter Freunde unter einem Schäfergedichte

[43] Als Orpheus mit verliebten Thränen

Den Abschied seiner Liebsten sang,

Bewog des armen Dichters Sehnen

Sogar den todten Widerklang;

Die Thiere weinten in die Saythen,

Die Steine starrten mehr als Stein,

Und sein Verdruß bedrängter Zeiten

Nahm Feld und Wald mit Unmuth ein.


So sah es jezo um Myrtillen

Und um die fetten Triften aus;

Kein Zuspruch wust ihn mehr zu stillen,

Er lies sein weites Schäferhaus,

Begab sich taumelnd in die Heide,

Bey der sich schon sein Vieh zerstreut,

Und klagte viel von seinem Leide

Der hier verschwiegnen Einsamkeit.


Was muß doch mancher Mensch nicht tragen!

Nun kommt das dritte Jahr ins Land,

Seit dem das Wachsthum meiner Plagen

Mir allen Rath und Trost entwand.

Das Glücke greift mich allenthalben

Und zwar mit allen Pfeilen an;

O daß ich jezt nicht mit den Schwalben

Verschlafen oder flüchten kan!


Ich will mein Creuz in Rechnung bringen,

Die Menge läst es nicht geschehn;

Ich will mich durch Verzweiflung zwingen,

Ja, dürft ich keinen Himmel sehn.

Gewohnheit macht die Noth erträglich,

Jedoch nicht mir, sie ist stets neu,

Der Himmel aber unbeweglich;

Wer sagt, wie mir zu Muthe sey?
[44]

Ich weiß mir's selber nicht zu sagen;

Wer etwas davon wißen will,

Der geh nur hin, den Wald zu fragen,

Und steh bey mancher Fichte still.

Mein Kummer zeigt sich an den Heerden,

Man sieht ihn selbst den Triften an,

Denn daß sie beide mager werden,

Das hat mein fauler Gram gethan.


Ich selbst verfalle vor den Jahren

Und zehre mich fast stündlich ab

Und dencke bey den grauen Haaren:

Gott geb, jezund erscheint das Grab.

Erschein ich einmahl auf den Festen,

So fragt mich jede Schäferin,

Warum ich bey so schönen Gästen

Nicht aufgeräumt und munter bin.


Mich selbst verdriest mein murrisch Wesen,

Und gleichwohl ändert mich kein Zwang;

Mein Glück ist einmahl schon verlesen

Und weis der Welt wohl wenig Danck.

Ich kan bey keiner Arbeit bleiben,

Die unser Feldbau mit sich bringt,

Und weis vor Unmuth nichts zu treiben,

Das nur so obenhin gelingt.


Bald schniz ich etwan bunte Stäbe,

Da martert mich sogar das Bast,

Und wenn ich abends Futter gebe,

So wird mir oft die Hand zur Last.

Mich deucht, die liebe Morgenröthe

Steht öfters aus Erbarmung still,

Wenn nun die sonst getreue Flöthe

Der Kunst nicht mehr gehorchen will.


Das Unglück kommt mir in Gedancken

Ohn Ordnung und in Menge vor,[45]

Es heist mich auch in Träumen zancken

Und schwächt mir täglich Aug und Ohr;

Bald schmeist mich Filindrenens Leiche

Mit neuer Ohnmacht in den Staub,

Da zeigt mir Roschkowiz die Eiche,

Da denck ich an den süßen Raub.


Ach Schweidniz, könt ich dich vergeßen,

O was entbehrt ich jezt vor Gram!

Ich habe deine Milch gegeßen,

Seit diesem acht ich keinen Ram.

Lebt wohl und grünt, ihr fetten Auen,

Und weidet Leonorens Brust,

Ich werd euch wohl nicht wiederschauen,

Es machte denn ein Traum die Lust.


Albine war mir schlecht gewogen

Und hies der Anfang meiner Qual,

Doch seit ich von ihr weggezogen,

Bedaur ich sie wohl tausendmahl,

Dies macht die Freundschaft zweener Hirten;

Ihr güldnen Jahre, kehrt doch um

Und biegt geschwind die schönsten Myrthen

Zu Damons holder Scheitel krumm.


Ja, Damon schläft und kommt nicht wieder,

Ach Nahme, der ergözt und schröckt,

Ach würdestu durch meine Lieder,

Ja durch mein Blut nur aufgeweckt,

Ich würde beide gern verschwenden.

O Rache, nimm dies treue Blut

Von mehr als eines Enckels Händen

Und mache so die Blutschuld gut!


Wo wird nur jezt mein Daphnis weiden?

Ihr Hirten um den Muldenstrand,

Erinnert ihn, jedoch bescheiden,[46]

Er habe mich ja auch gekand.

Ich rufe Mond und Stern zu Zeugen,

Wohin er erst mein Haupt erhob:

Wenn Grillen mein Gemüthe beugen,

So stärckt mich sein gelehrtes Lob.


Die schön- und weltberühmten Linden,

Die Oder nebst der schwarzen Spree,

Und was sich sonst vor Örter finden,

Allwo ich im Gedächtnüß steh,

Die darf ich jezt nur nennen hören,

So kriegt die Schwermuth Nahrungssaft,

Und daß sie mich zum öftern stören,

Das thut die süße Leidenschaft.


Hier seh ich nun bey so viel Wettern

Mein armes Vieh zu Grunde gehn;

Die Ziegen klauben an den Blättern,

Die voller Gift und Mehlthau stehn;

Die Hize macht die Garben dünne,

Und Lab und Milch verdirbt der Bliz,

Und weil ich nirgends was gewinne,

So straft man meinen blinden Wiz.


Ach, läge doch mein Haupt im Schlummer

Nur noch in Leonorens Schoos!

Wie gern erlidt ich allen Kummer,

Das Elend wär auch halb so groß.

Hier miß ich nun in fremden Gränzen

Glück, Ehre, Vaterland und Ruh;

Geht, Nymphen, geht mit euren Kränzen

Und werft mir lieber Buchsbaum zu.

Quelle:
Johann Christian Günther: Sämtliche Werke. 6 Bände, Band 2, Leipzig 1931, S. 43-47.
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