Ode

[56] Dresden, den 10. August 1719


Euch Musen danckt mein treu Gemüthe,

Wofern ich etwas gelt und bin,

Der Lorbeer eurer reichen Güte

Grünt jezt schon auf die Nachwelt hin.

Ihr habt mich von Geburth umfangen,

Gesäugt, geführt, geschüzt, ernährt

Und, wenn mir Freund und Trost entgangen,

Dem Herzen allen Gram verwehrt.


Nun mögen andre meines gleichen

Aus Ehrgeiz mit nach Ungern gehn

Und bey des Adlers Siegeszeichen

Geschlecht und Stand und Glück erhöhn.

Ich schmeichle keiner großen Zofe,

Ich bethe keinen Gözen an,

Der irgend Leute von dem Hofe

Nach Willkühr ziehn und werfen kan.


Ein Lager an den grünen Flüßen

Ergözt mich in gelehrter Ruh,

Hier kan ich alle Noth versüßen,

Hier richtet niemand, was ich thu.

Hier spiel ich zwischen Luft und Bäumen,

So oft die Sonne kommt und weicht,

Und ehre die in meinen Reimen,

Der nichts an Treu und Schönheit gleicht.


Sprecht mehr, ihr hochmuthsvollen Spötter,

Ich hielte nichts von Lob und Ruhm,

Mein Nahme dringt durch Sturm und Wetter

Der Ewigkeit ins Heiligthum.

Ihr mögt mich rühmen oder tadeln,

Es gilt mir beides einerley;

Wen wahre Lieb und Weißheit adeln,

Der ist allein vom Sterben frey.

Quelle:
Johann Christian Günther: Sämtliche Werke. 6 Bände, Band 2, Leipzig 1931, S. 56-57.
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