Die verliebte Gedult

[233] Aria.


Sey immerhin der Hand entrißen,

Im Herzen bleistu dennoch mein.

Das Glücke mag das Bündnüß brechen.

Die Schickung mag mir widersprechen

Ich troze noch ihr künftig Nein

Und will dich stets im Bilde küßen.

Da Capo.


Recitat.


Ach Kind!

Ach frage nur den Wind,

Wie viel und naße Klagen

Sein müder Flug nach Anklam hingetragen,

Seitdem ein harter Schluß

Dich anderwärts verbunden.

Dies ist der Brunnquell tiefer Wunden,

Woran ich Krancker seufzen muß,

So lang ich Blut und Adern fühle.

Ja, wäre hier

Die Vorsicht nicht im Spiele,

So würd ich dir,

So würd ich deiner Untreu fluchen

Und etwan so die Rache suchen:


Aria.


Erzürnt euch, ihr Geister der höllischen Klüfte,

Eröfnet den Abgrund und schwefelt die Lüfte

Und zündet die Fackeln der Eifersucht an!

Bestraft nur die Falsche und weckt ihr Gewißen

Und last sie durch Feuer und Peinigung wißen,

Es werde kein Meineid vergebens gethan.

Da Capo.


[234] Recitat.


Dergleichen Hochzeitseegen

Begrüste deinen Wanckelmuth,

Verstünd ich nicht, was Gottes Finger thut.

Allein der Liebe wegen,

Womit du mich so hoch geschäzt,

Womit du mich so oft ergözt,

Erlas ich dir die Schuld,

Worein dich das Verhängnüß führet.

Ich werde zärtlich scharf regieret,

Doch leid ich mit Gedult

Und stelle mir die alten Zeiten

Zum Troste dieses Kummers vor.

Mich deucht, es hört mein Ohr

Die angenehme Stimme rufen,

Mich deucht, ich sehe deine Stufen

Mit mir spazieren gehn.

Du bist mir jezt noch schön,

Du strahlst mir noch entfernt ins Auge,

So daß ich frischen Zunder sauge,

Wenn Schlaf und Nacht

Gedancken zollfrey macht

Und Träume deinen Abriß bringen,

Mit dem ich bis an Morgen ringen

Und sicher spielen kan,

So daß dein neuer Mann

Kein Wort von unsrer Lust erfährt;

Gewis, die Lust ist schlafenswerth.


Aria.


Dies Betriegen

Zeigt Vergnügen

Und erhält den ersten Trieb;

Kan ich dich nicht würcklich küßen,

Muß ich Mund und Warheit mißen,

Hab ich auch den Schatten lieb.

Da Capo.


[235] Recitat.


So bleiben Funcken in der Asche,

So rostet alte Liebe nicht;

Denn daß ich mein Gesicht

So oft mit Thränen wasche,

Das macht dein köstlicher Verlust.

Vertragen sich drey fromme Herzen

In einer Brust,

So mindre meine Schmerzen

Und las mir jezt zur Ruh

Auch dort ein Räumchen zu,

Wo jezt dein Liebster Plaz genommen;

Ich will ihm nicht zu nahe kommen.

Die Hälfte mag sein Eigen seyn,

Ich nehme nur das Drittel ein,

Und dies mit gutem Rechte,

Dieweil mein Fuß zu deiner Lagerstatt

Den nechsten Anspruch hat,

Und weil ich hier schon Rosen abgelesen,

Eh seiner noch gedacht gewesen.

Es trift mich, wie gesagt, zwar scharf,

Doch mag ich deine Ruh nicht stören,

Und was ich nicht besizen darf,

Das will ich still und ewig ehren.


Aria.


Bis die schwere Zunge stammlet,

Bis mich ein gedrungnes Haus

Zu der Väter Beinen sammlet,

Sprech ich deinen Nahmen aus.

Deine Schönheit, dein Gemüthe,

Deine Tugend, deine Güte

Soll mit mir zu Grabe gehn.

Dich nur wieder zu umfangen,

Will ich, wenn die Welt vergangen,

Noch so rüstig auferstehn.

Da Capo.

Quelle:
Johann Christian Günther: Sämtliche Werke. 6 Bände, Band 1, Leipzig 1930, S. 233-236.
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