Leonorens Antwort

[223] So soll mich auch durchaus nichts kräncken,

Es geh mir noch so wunderlich;

Ich muß in aller Noth gedencken:

Der Himmel thut's und prüfet dich;

Er ist ein Vater, der zwar schlägt,

Doch auch nicht ewig Ruthen trägt.


Wir Menschen können unser Glücke

Unmöglich allzeit selbst verstehn,

Wir fallen in Gefahr und Stricke,

So oft wir vor uns selber gehn;

Wir wehlen falsch und wandeln blind,

So oft wir ohne Creuze sind.


Ein ruhig Herz und rein Gewißen

Wird doch von außen nicht verstört;

Daß treue Seelen leiden müßen,

Das wird wohl überall gehört,

Doch daß sie niemahls Hülfe sehn,

Das sieht man nimmermehr geschehn.


Die Spötter thun mir freylich bange,

Man sezt mir ein gefehrlich Ziel,

Die Wetter stehn so schwer als lange,

Der Trauernächte werden viel;

Jedoch Gedult, Vernunft und Zeit

Versprechen Palmen auf den Streit.


Wer weis, wie bald mein Glücke steige,

Es kan mir unverhoft noch blühn;

Die Großmuth, so ich stets bezeige,

Muß durch Gefahr dem Feind entfliehn.

Ein treuer Gott und kluger Mann

Macht, daß man alles dulden kan.
[224]

Mein Leben wird noch um das Ende

Ein Himmel voll Vergnügung seyn;

Die Hofnung reicht mir schon die Hände,

Die keusche Liebe stimmt mit ein:

Geht, Winde, bringt den stillen Kuß

Dem, der mir bleiben will und muß.

Quelle:
Johann Christian Günther: Sämtliche Werke. 6 Bände, Band 1, Leipzig 1930, S. 223-225.
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