[171] Bleib, wer du bist und wilst, Selinde!
Ich bleibe gleichfalls, wer ich bin.
Dein Herz besteht wie Rohr am Winde;
Dafür bedanckt sich nun mein Sinn
Und wüntscht dir zu der guten Zeit
Nichts weiter als Beständigkeit.
Du hängst dich, wie ich seh, an alle
Und siehst das Herze nicht mehr an.
Ich geh und räume deinem Falle;
Er kommt, der Hochmuth kommt voran,
Spott aber, Reue, Gram und Schmach
Folgt wie der Rauch dem Brande nach.
Eh soll der Himmel Bäume tragen
Und unser Queis voll Flammen stehn
Als jemand auf der Erde sagen:
Selinde läst den Philimen.
Besinnstu dich noch auf die Nacht,
Die dieser Schwur vergnügt gemacht?
Nun grüne, lieber Himmel, grüne
Und gieb dem Queiße deine Glut,
Damit es der zur Ausflucht diene,
Die wider ihr Geseze thut
Und, wo kein Wunderwerck geschieht,
Der Rache nimmermehr entflieht!
Mit was vor Ruh und vor Gewißen
Gedenckstu, falsches Kind, der Lust
In fremden Armen zu genießen,
Wobey du allzeit fürchten must,
Jezt trenne Donner, Bliz und Streich
Kuß, Mund und Herzen unter euch?
[172]
Ein andrer würd es wüntschen können,
Ich aber bin nicht aufgelegt,
Den Feinden meinen Zorn zu gönnen;
Die Liebe, so mich treibt und regt,
Läst fahren, was nicht bleiben will,
Und schweigt wie fromme Kinder still.
Genug, daß du dich selbst betrogen
Und etwas wider dich gethan.
Bedenck, ich war dir so gewogen,
Als keiner ist und werden kan,
Ich zeigte dir durch wahre Treu,
Was Leben und was Lieben sey.
Die Eintracht zwo vertrauter Herzen
Macht aus der Welt ein Himmelreich,
Ihr reiner Kuß verbeißt den Schmerzen,
Ihr Auge kommt der Sonne gleich,
Die Wolck und Regen um sich sieht
Und doch davon nichts in sich zieht.
Den Vorschmack hastu schon genoßen,
Betrachte Felsen, Bach und Wald,
Wo ich dich oft in Arm geschloßen
Und unser Scherz noch widerschallt;
Die Vögel wurden selbst erweckt
Und durch Exempel angesteckt.
Du wustest damahls vor Vergnügen
Oft selbst nicht, wo dein Herze wär;
Du bliebest vor Entzückung liegen
Und sagtest, deucht mich, ohngefehr:
Kind, daß mich nicht der schöne Tag
An deiner Brust entseelen mag!
Ich mag nichts mehr davon gedencken,
Sonst leid ich mehr dabey als du;[173]
Die Zeit weis alles so zu lencken,
Damit sie keinem Unrecht thu,
Und wird vielleicht zu deiner Pein
Bald zwischen uns ein Richter seyn.
Ich übergeb ihr meine Rache,
Die doch nicht weiter um sich fast,
Als daß sie bald zu Schanden mache,
So viel du Schönes an dir hast,
Bis daß Selinde nicht mehr ist,
Was du anjezt, Selinde, bist.
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