An Olorenen

[23] Da sieh nur an, mein Kind, wie grausam mich das Glücke

Als keinen auf der Welt in allen Sachen drücke;

Es gab dich mir zu sehn, es gab mir deinen Kuß,

Und mitten in der Lust, im Anfang unsrer Flammen,

Reißt uns sein harter Schluß

Durch einen Streich vonsammen,

Der dich in Unruh sezt und mich beschämen muß.


Es scheint zwar etwas viel, drei Tag einander kennen

Und in drey Tagen schon von gleichem Zunder brennen,

Dies scheint dem Pöbel viel, doch wundert mich es nicht;

Denn Lieben ist ein Bund getreu- und edler Herzen,

Die durch der Augen Licht

Sogleich verbindlich scherzen,

Sobald die Ähnligkeit der Geister auswärts bricht.


Frag dich nur selber aus, so wirstu mich ergründen,

Besuche dich genau, du wirst mein Herz schon finden,

Da, wo die Ros und Schnee den vollen Busen deckt.

Auch dein Herz fing ich bald mit halb erstohlnen Küßen,

O zärtliches Confect,

Davon du selbst wirst wißen,

Wie kräftig und wie gut es auch im Schlafe schmeckt.


Das Drücken schöner Hand ergözt mir noch die Sinnen;

Der Vorwiz saß dabey und ward es doch nicht innen,

Wenn unsrer Finger Scherz die stumme Sehnsucht wies.

So schön entzückt uns kaum der Morgenröthe Prangen,

So schön kein Paradies

Als damahls deine Wangen,

Da sich mein fauler Geist dein Mäulchen wecken lies.


O Lust voll Eitelkeit! So flüchtig sind die Sachen,

Woraus wir Sterblichen ein himmlisch Glücke machen;[24]

Der vierte Mittag kommt, so heist es: Gute Nacht.

Wie mir zu Muthe sey, das wirstu selbst wohl fühlen.

Wer hätte dies gedacht,

Daß so ein kurzes Spielen

So viele Seelenangst und bange Sehnsucht macht.


Ach, könt ich dir mein Leid in Bildern überschicken,

Ach, hätt ich deinen Kuß, wie würd er mich erquicken,

Da Hize, Weg und Sand den müden Cörper quält!

Vor Schwermuth hab ich schon in Wiesen, Thal und Heiden

Den rechten Weg verfehlt

Und dies mein strenges Leiden

Den Sträuchen und der Luft und mehr mir selbst erzehlt.


Bleib, Olorene, bleib, so wie ich dich gefunden,

Ich meine klug und treu, und reiß die Abschiedswunden

Dir doch nicht gar zu oft durch blöden Kummer auf.

Soll unsre Freude blühn, so wird es sich schon finden;

Du siehst des Wetters Lauf:

Bey so viel Näß und Winden

Verzagte fast die Welt, jezt folgt der Sommer drauf.

Quelle:
Johann Christian Günther: Sämtliche Werke. 6 Bände, Band 1, Leipzig 1930, S. 23-25.
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