An die Phillis

[276] Von Liegniz aus


Wiltu zürnen, liebstes Kind,

Ach so zürne mit dem Glücke,

Deßen Unrecht, Zorn und Tücke

Unsrer Trennung Ursach sind;

Zürne gar mit meinem Herzen,

Das vorhin in Stücken bricht,

Ich verbeiße gern die Schmerzen,

Fluche nur der Liebe nicht!


Fluche nur der Liebe nicht!

Was dein zärtlich Fleisch erduldet,

Hat sie warlich nicht verschuldet,

Ob es gleich die Misgunst spricht.

Mein Verhängnüß, nicht dein Küßen,

Hat dich in den Gram gesezt,

Der mein redliches Gewißen

Zwar betrübt, doch nicht verlezt.


Daß du mir als meine Braut

Auf ein keusches Widerstreben

Seele, Geist und Brust gegeben

Und mir, was du hast, vertraut,

Ist so wenig eine Sünde

Als mein Kuß ein Judaskuß,

Ob ich gleich von meinem Kinde

Unverhoft entrinnen muß.


Glaube, daß ich mir dein Weh

Und der Thränen Meng und Schärfe

In mir selbst mit Angst entwerfe,

Wenn ich jezt zurücke geh

Und den süßen Bund bedencke,

Den wir bey erfolgter Nacht

Ohne Kuppler, List und Räncke

Mit Entzückung fest gemacht.
[277]

Was vor keusche Zärtligkeit

Sog ich aus dem lieben Munde,

Dem es etwan diese Stunde,

Aber mir zur Angst, gereut!

Was vor hiziges Entzücken

Gab nicht dort die Jahrmarcktslust,

Wo du mich mit naßen Blicken

Um das Thor verlaßen must!


Himmel, ach, gedenck ich dran,

Was ich damahls vor Gelübde,

Als uns Neid und Spott betrübte,

Und wie viel ich sonst gethan,

Du erhörtest auch die Liebe

Und bedrohtest die Gefahr,

Die bey unserm heißen Triebe

Anfangs zu besorgen war.


Nunmehr hatt ich schon die Ruh;

Hofnung, Sehnsucht und Verlangen,

Dich nun völlig zu empfangen,

Eilten nach dem Hafen zu.

Phillis flocht bereits die Myrthen,

Aber, ach, du Donnerwort,

Eh sie noch mein Haupt umgürthen,

Muß ich sonder Abschied fort.


O wie manche, manche Nacht

Wird mir noch auf harten Küßen

Diese Glieder wälzen müßen,

Die du einmahl hoch geacht,

Die du sonst so schön gepriesen

Und so zärtlich angedrückt,

Daß es noch die Abendwiesen

Und den jungen Hayn erquickt!


Sprich verächtlich, fluche, schilt,

Reiß, verbrenne meine Lieder,[278]

Rufe deinem Menling wieder,

Der vielleicht noch immer gilt!

Las dir nichts von mir mehr taugen,

Ja, verfolge mich mit List –

Phillis bleibt in meinen Augen,

Was sie stets gewesen ist.


Was du stets gewesen bist,

Meine Braut und mein Vergnügen,

Das mir durch ein grausam Fügen

Jezt zur Marter worden ist,

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Himmel, der du mich erkennst,

Der du alles siehst und richtest,

Der du alles weist und schlichtest,

Der du bindest und zertrennst,

Werd ich nicht von deinem Schluße

Mit Gewalt davon gejagt,

O so werde meinem Fuße

Ewig seine Ruh versagt.


Ja, ich sage, macht der Tod

Meiner Brust mehr Furcht und Plage,

Als ich ihrentwegen trage,

Da ihr manches Wetter droht,

O so werde mein Geblüte

Nach und nach durch Gram verzehrt;

Doch ich weis schon, mein Gemüthe

Ist wohl etwas Beßers werth.


O wie manch galantes Kind

Wird mit mir noch Mitleid haben,

Wenn wir beide längst begraben[279]

Und mehr Staub als Knochen sind!

O wie manche wird das Leiden,

So du meinetwegen fliehst,

Als ein rühmlich Creuz beneiden,

Dem du dich aus Groll entziehst!


Schröckt dich nun mein Elend ab

Und versagstu mir auf Erden

Alle Hofnung, dein zu werden,

So erwarthe nur mein Grab.

Nachmahls solstu sehn und hören,

Doch vor dich bereits zu spät,

Daß auch die mein Lob verehren,

Die mich jezt aus Neid geschmäht.

Quelle:
Johann Christian Günther: Sämtliche Werke. 6 Bände, Band 1, Leipzig 1930, S. 276-280.
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