Auf seine Liebste in Bischdorf

[261] So wist einmahl, ich bin verliebt,

Und zwar in so ein Kind,

Das mir erst Lust zu leben giebt,

So schwer die Zeiten sind.

Sein Kuß ist meiner Seelen Kraft

Und hat an süßer Glut

Fast aller Schönen Eigenschaft,

Nur nicht den Wanckelmuth.


Es schwächt mir weder Geist noch Leib,

Das denen sonst geschieht,

Die Amors stiller Zeitvertreib

Am Narrenseile zieht;

Es redet mir in Lust und Leid

So klug als freundlich ein

Und läst mich in der nechsten Zeit

Des Unsterns Meister seyn.


Weicht, Eltern, Gönner, Glück und Freund,

Weicht, sag ich, immerhin,

Ihr habt es nie so treu gemeint,

Als ich euch jezt noch bin;

Indeßen, da euch vor mir graut,

So lern ich euch verschmähn

Und dencke, mit der neuen Braut

Mich beßer zu versehn.


Ach Hofnung, ach du Engelsbild

Und meiner Güter Rest,

Ach, komm und küß und bleib mein Schild,

Da alles schlägt und preßt.

Komm, flicht uns unsern Hochzeitschmuck

Von deinem Wintergrün!

Der Tod, sonst nichts, ist starck genug,

Ihn wieder aufzuziehn.

Quelle:
Johann Christian Günther: Sämtliche Werke. 6 Bände, Band 1, Leipzig 1930, S. 261-262.
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