[Davids Harfe, großer Mann, die dein Finger künstlich spielet]

[59] [59] Schreiben an Herrn B(enjamin) S(chmolcke).


Aus Wittenberg, den 29. Dec. 1715.


Davids Harfe, großer Mann, die dein Finger künstlich spielet,

Wenn die Andacht deiner Brust einen Trieb von oben fühlet,

Warnet jezo meine Leyer, da mein Phoebus als ein Kind

Deiner mir erwiesnen Güte auf ein reines Dancklied sinnt.

Ich durchgeh den Helicon, einen Baum vor dich zu finden,

Ich verwunde manchen Ast, ich zerrize manche Rinden,

Das Gedächtnüß deines Nahmens der Verwesung zu entziehn;

Aber ach, der stumpfe Grifel schilt mein thörichtes Bemühn.

Mir geräth kein guter Strich, sondern lauter falsche Züge,

Daß ich selbst aus Ungedult wieder mich zu Felde liege;

Und das Wort Berühmter S(chmolcke) kommt der Feder sauer an,

Weil es selbst die schwache Zunge langsam buchstabiren kan.

Wundre dich nun also nicht, daß ich deinen Ruhm verschweige,

Denn mein Fuß ist nicht geschickt, daß er diesen Berg ersteige,

Wo das Chor der deutschen Dichter deiner Muse Plaz gemacht,

Welche dir schon in der Wiege ihren Lorbeer zugedacht.

Jezt befiehlt der kurze Rest von dem hinterlegten Jahre

Meiner alten Schuldigkeit, daß sie keinen Weihrauch spare;

Nimm den Mundvoll reiner Wüntsche, großer S(chmolcke), von der Pflicht

Eines dir verbundnen Knechtes, dem die Noth den Willen bricht.

Deines Amtes schwere Last als die Mutter grauer Haare

Mindre sich je mehr und mehr bey dem Wachsthum deiner Jahre,

Bis der wiederholte Wechsel vieler Zeiten deinen Geist

Hier aus einem Paradiese in das andre langsam weist.

Quelle:
Johann Christian Günther: Sämtliche Werke. 6 Bände, Band 4, Leipzig 1935, S. 59-60.
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