[Der Mensch, das kleine Thier, verfährt oft ziemlich toll]

[147] [147] Als der hochedle, hochachtbahre und hochgelahrte Herr, Herr M. Joh. Friedrich Freiesleben auf der berühmten Universität Erfurt den 26. Septembr. Anno 1718. in Doctorem Juris promovirte, suchte ihre Schuldigkeit abzulegen.


Deszen Tischcompagnie


Der Mensch, das kleine Thier, verfährt oft ziemlich toll,

Verachtet, was er doch am höchsten schäzen soll,

Hält Vorwiz vor Verstand und grübelt oft in Dingen,

Die, wo nicht Schaden thun, doch wenig Vortheil bringen,

Bald schickt er Gut und Wiz aus Tiegeln in die Luft

Und hexte lieber gar den Moses aus der Gruft,

Um, wenn er ihn gefragt, den Goldstaub nachzubrennen;

Bald sinnt er auf Gewalt, den Erdkreiß zu verdrehn,

Bald will er durch ein Glas in Gottes Rathhaus sehn,

Bald durch ein neues Schif das Meer der Wolcken trennen.


Hingegen jenen Schaz, worauf ihn die Natur

Mit tausend Fingern weist, verliert er auf der Spur,

Die in ihm selber steckt und, wenn er recht gedächte,

Ihn, sonder weit zu gehn, zum wahren Glücke brächte.

Der Geiz fängt gleich das Wort und fällt begierig ein:

Ein Schaz? Der ist ja werth, mit Müh gesucht zu seyn.

Ja wohl; doch, lieber Freund, du wirst ihn wohl nicht heben;

Es ist kein güldnes Aaß, wobey man Tag und Nacht

Verblichen hungern sizt und oft mit Prügeln wacht.

Dies meinstu? Ja. Gefehlt; es ist ein freyes Leben.


Das dacht ich mir wohl bald, so fängt die Herrschsucht an,

Dies Kleinod glänzt und liegt auf meiner Ehrenbahn,

Hier hat der Zwang nicht Raum, hier können meine Großen

Nach eigner Willkühr thun und alles niederstoßen.

O, bricht die Wollust aus, dein Prahlen ist nur Wind,

Die Freyheit wohnt bey mir, es sieht ein jedes Kind,[148]

Wie ungebunden sich mein zärtlich Volck ergöze.

Hier lebt man ohne Gram bey Mägdgen, Spiel und Wein,

Läst Gott den besten Mann, den Mogol Kayser seyn

Und lacht noch insgeheim der schärfsten Strafgeseze.


Bethörte Dirnen, schweigt! Denn eurer Thorheit Streit

Beweist schon, daß ihr tumm und blinde Weiber seyd,

Die insgemein so schön, so klug und artig schließen,

Daß, wenn die Warheit hört, Erbarmungsthränen fließen.

Komm, Ehrgeiz, komm und sieh den schönen Freyheitsstand:

Dort hält dein hoher Knecht das Ruder in der Hand,

Womit er Saal und Reich, wie ihn die Furcht, regieret;

Komm, Wollust, sieh und sprich, ob dies wohl Freyheit sey,

Da dort ein Zauberblick verbuhlter Sclaverey

Ein jung- und armes Blut zur geilen Schlachtbanck führet.


Geht endlich alle drey und seht auf einen Mann,

Der, was ihr fälschlich rühmt, an sich beweisen kan;

Er ist zwar nicht so bald noch überall zu finden,

Doch könt ihr, wenn ihr sucht, euch auf die Zeichen gründen:

Sein Haupt ist eben nicht von Schulstaub überdeckt

Als wie ein Bücherwurm, der unter Moder steckt;

Im Auge kommen Ernst und Freundligkeit zusammen,

Er will den Kleidern nach kein philosophisch Schwein

Noch auch im Gegentheil ein Jungferknechtchen seyn

Und pflegt kein Mittelding an Moden zu verdammen.


Sein innerlicher Schmuck ist Redligkeit und Kunst,

Er schnappt nicht als ein Fisch nach Hof- und Herrengunst,

Und wird ihm anderseits ein Glücksamt aufgetragen,

So ist er nicht zu grob, den Vortheil auszuschlagen.

Sein Herz, der Inbegrif der Wunder dieser Welt,

Beherrscht Verdruß, Gefahr, Stand, Schröcken, Stolz und Geld,

Dringt allzeit auf Beweis und läst den Pöbel glauben,

Geht stets der Warheit nach, verheelt und sagt sie frey,

Nachdem er selbst ermißt, wie weit sie nüzlich sey,

Und will sich selber nichts aus Eigensinn erlauben.
[149]

Er giebt sich selbst Befehl und hat auch in der That

Kein Wesen über sich als Gottes Führungsrath;

Gehorcht und folgt er ja den Fürsten dieser Erden,

So lehrt die Klugheit ihn zum Schein gehorsam werden.

Er nimmt Begierd und Lust und Eifer in Verhaft,

Es zinst ihm die Natur der Sachen Wißenschaft,

Er thut nur, was er will; denn er kann doch nichts wollen,

Als was Vernunft und Zeit und Ort und Stand befiehlt;

Das Glücke, welches sonst bey allen Meister spielt,

Muß, rast es noch so sehr, ihm doch Vergnügung zollen.


Wo, fragt man, hat er nun dergleichen Freybrief her?

Er kauft ihn nicht vor Blut, er zieht nicht über Meer

Und darf ihn auch nicht erst mit abgerißnen Sohlen

Vom stolzen Vatican noch auch von Wezlar holen.

Die Weißheit siegelt ihn den Kindern edler Art,

Die weder Kopf noch Zeit noch Schweiß noch Oel gespart,

Ihr angebohrnes Pfund mit Wucher zu verhandeln,

Und die nicht, wie man oft in unsern Tagen sieht,

Ein Irrstern falscher Kunst von jenem Lichte zieht,

Das allen glücklich scheint, die nach der Warheit wandeln.


Dies ist, hochedler Freund, was dich vor vielen schmückt.

So schwer dein Nahme sich in diese Reime schickt,

So ähnlich mahlt er uns ein Bild gelehrter Gaben,

Die auch in deiner Brust den Lohn der Freyheit haben.

Dein grün- und weises Lob wird, weil die Lindenstadt

Noch einen Lorbeerzweig auf ihrem Pindus hat,

Dich als den rechten Sohn der Weißheit crönen laßen;

Denn was Beredsamkeit, Fleiß, Einsehn, Geist und Kraft

Bey Männern deutscher Luft vor Ehr und Ansehn schaft,

Das kan auch dein Verdienst in seinen Circul faßen.


Dies sieht Asträa wohl; drum wird ihr Priesterkleid

Auf Erfurts Helicon mit Seegen eingeweiht

Und, weil doch Licht und Recht ein freyes Herz verlangen,

Dir unter Freud und Ruhm und Opfer aufgehangen.[150]

Wir sehn dich in der Tracht mit frohen Mienen an,

Als Aaron, da sein Sohn den Leibrock umgethan,

Und wollen deiner Gunst zuerst Clienten bringen;

Es sind, beschüze sie, die Herzen reiner Treu,

Die, lebstu gleich nach Wuntsch an Glück und Nahmen frey,

Dich dennoch an das Band ergebner Freundschaft schlingen.

Quelle:
Johann Christian Günther: Sämtliche Werke. 6 Bände, Band 4, Leipzig 1935, S. 147-151.
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