[Zu leugnen ist es nicht, wir würden, möcht es seyn]

[76] [76] Tit. Pl. dem wohledlen und hochgelehrten Herrn, Herrn Joh. August Heinichen, Lips. Misn., wollten zu seiner in Halle den 5. Febr. 1718. angestellten Promotion in Licentiatum Medicinae in gegenwärtigen Zeilen von Herzen gratuliren vier aufrichtige Freunde, die es mit ihm herzlich meinen


Zu leugnen ist es nicht, wir würden, möcht es seyn,

Doch ohne Schimpf gesagt, des Arztes gern entbehren;

Doch sezen wir voraus, wenn nehmlich Fleisch und Bein

Kein angesteckter Zeug von Adams Ribbe wären.

Allein nachdem das Gift der ungesunden Frucht,

Die ein vernaschtes Weib und wir durch sie verschlungen,

Noch täglich jiehrt und würckt, so bleiben wir gezwungen,

Den Finger anzuflehn, der Puls und Hize sucht,

Und müßen, sind wir gleich auch Götter dieser Erden,

Im Reiche des Galens zu Unterthanen werden.


Der Apfel war verzehrt, der Tod kam in die Welt,

Die Leute wuchsen schnell, die Seuchen noch geschwinder;

So weit die Sonne steigt, so weit die Sonne fällt,

Ergrifen Brand und Pest die halbverzagten Sünder;

Dem faulten Lung und Milz, dem schwollen Hals und Leib,

Den warf der blaue Schlag, der schwand an Fuß und Händen,

Der schnappte nach der Luft, den züchtigten die Lenden,

Dort wälzte sich ein Kind, dort kriß ein müdes Weib,

Und wo man hört und sah, da hört und sah man Heulen,

Blut, Blattern, Geifer, Schaum, Schleim, Eiter, Koth und Beulen.


Erbarmung aus der Höh, du sahst das Elend an,

Du sahst es nicht allein, du nahmst es auch zu Herzen,

Dein Mitleid ward erweckt, der Himmel aufgethan,[77]

Und sieh, da kam ein Trost der allgemeinen Schmerzen:

Erfahrung und Vernunft, die Bothen deiner Gunst,

Verschworen sich bey dir vor unser Heil zusammen;

Da wich das Übel aus, da legten sich die Flammen

Der küzelnden Geschwulst; da stieg Hygeens Kunst

Auf ihren Ehrenstuhl und fing uns an zu lehren,

Wodurch man fähig sey, der Feinde Macht zu stören.


Wie glücklich ist der Mann, der hier ein Schüler heist

Und wieder Tod und Gift die Wafen brauchen lernet;

Das Alter wird sein Lohn, er übt den klugen Geist

An Dingen, welchen sich des Pöbels Aug entfernet.

Ihm müßen Thier und Kraut getreue Diener seyn,

Er kennt der Seelen Haus, das künstlichste Gebäude,

Es ist kein Berg so groß, er sucht sein Eingeweide

Und steiget der Natur in alle Kammern ein;

Da kan sie nichts so tief und nichts so hoch verstecken,

Sein Einsehn weis es doch den Sinnen zu entdecken.


Was schenckt ihm nicht sein Amt vor Vortheil und vor Lust.

Die Krancken heißen ihn als ihren Gott willkommen;

Es bleibt ihm nichts geheim; oft wird er in die Brust,

An der er vor geheilt, zum Liebsten eingenommen.

Die Mütter traun ihm stets ihr schön- und blaßes Kind,

Die Armen bethen ihn zu einem reichen Manne,

Bey Reichen strahlt sein Lohn in einer Nectarkanne,

Und Fürsten sind bey ihm, was andre Menschen sind;

Und schreibt ihn Nabal gleich nicht allemahl zum Erben,

So hat er dies von ihm: Er lernt getroster sterben.


Ha, ha, gedenckt ein Thor, der nichts von Arbeit liebt,

Ists so ein köstlich Ding um Meditrinens Glücke?

Nun weis ich, was mir Brodt und faule Tage giebt,

Worzu ich mich vorwahr am allerbesten schicke.

Wie bald begreift man nicht die Pillendrechslerey:

Hier liegt mein Theophrast, da steht der ganze Plunder,

Ein Glas voll Ofenruß, ein Läpchen Hemdezunder,[78]

Ein goldnes Polychrest, ein Perlentranck vom Ey,

Ein Pfund Verwegenheit, ein glattes Maul voll Lügen,

Das ist ein gut Recept, die Einfalt zu betriegen.


Gekleckt ist nicht gemahlt; du blinder Davus, schweig!

Die Pfuscher haben nichts als Fluch und Schimpf zu hofen,

Nicht einer überkömmt Hygeens Ehrenzweig,

Wofern er nicht bereits den rechten Zweck getrofen.

Was braucht es viel Beweis? Gelehrt- und edler Freund,

Dein Beyspiel unterschreibt und läst uns jezt erfahren,

Daß schon Hippocrates vor zweymahl tausend Jahren

Dich, den er nicht gesehn, durch diesen Spruch gemeint:

Es könne sich ein Arzt, o las die Misgunst lachen,

So bald er Weißheit liebt, den Göttern ähnlich machen.


Dies Lob ist dir genug; denn Warheit schwazt nicht viel.

Die Saal' erkennt es wohl und läst dich heute steigen,

Morbona steht in Furcht, die Parzen sehn ihr Ziel

Und halten dich vor starck, ihr altes Recht zu beugen.

Dies ist, was unter uns ein jeder wüntscht und glaubt.

Besuch und stärcke nun der Schmachtenden Verlangen;

Der Nuzen schleicht dir nach, die Ehre will dich fangen,

Und Venus hat dir schon ein schönes Kind geraubt.

Bey Krancken schone dich, doch mehr bey den Gesunden,

Bey welchen mancher Arzt sein süßes Grab gefunden.

Quelle:
Johann Christian Günther: Sämtliche Werke. 6 Bände, Band 4, Leipzig 1935, S. 76-79.
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