[An Regina Damm(?)]

[324] Mademoiselle!


Sie verwundern sich vielleicht nicht ohne Ursache über die Verwegenheit meiner Poesie, die als eine Ihnen unbekandte Dienerin sich die Freyheit nimmt, Ihren künstlichen und kostbaren Zeitvertreib mit gegenwärtiger schlechten Arbeit zu unterbrechen. Ich gesteh auch selbst, es ist ein Fehler. Diesen Fehler nun einigermaßen zu entschuldigen, berufe ich mich auf die von einer galanten und klugen Mutter Ihnen angeerbte so oft gerühmte Leutseeligkeit und Begierde, mit welcher Sie, wie mich ein guter Freund überreden will, die artigen Einfälle einer aufgeräumten Muse zu lesen pflegen. Ob ich nun gleich die Schwachheit meiner Feder beßer kenne, als daß ich mir einbilden sollte, Ihnen durch diese schlechte Reime einiges Vergnügen zu erwecken, so schmeichle ich mir nichts desto weniger mit der Hofnung, es werde die Ihnen, Mademoiselle, dadurch an den Tag gelegte Hochachtung vor Dero wertheste Person den Mangel einer netten Schreibart ersezen und Dero werthester Nahme diesem Blate die vollkommenste Schönheit geben. In diesem Vertrauen läst meine Schuldigkeit vor die noch oftmahls glückliche Wiederkunft Ihres heutigen Nahmensfestes die kräftigsten Wüntsche fliegen und versichert Sie alles gehörigen Respects,

Mademoiselle,

von Dero

gehorsamsten Diener

Günther.

Quelle:
Johann Christian Günther: Sämtliche Werke. 6 Bände, Band 4, Leipzig 1935, S. 324-325.
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