[Wie so traurig und verzückt, du von Gott geprüfte Seele?]

[307] [307] Zufällige Trostgedancken einer von Gott durch Kranckheit geprüften Seele für ihro Gnaden Herrn Elias von Beuchelt.


Weißheit.


Wie so traurig und verzückt, du von Gott geprüfte Seele?


Seele.


Und wie soll ich anders thun in der langen Marterhöhle,

In dem Kercker meiner Freyheit, in dem Leibe, der mich drängt

Und mich bey vergebnem Weinen fast bis zur Verzweiflung kränckt?


Weißheit.


Davor sey des Höchsten Macht, der dich liebreich prüft und läutert!

Ob sich gleich dein Ungemach so an Zeit als Größ erweitert,

Hastu dennoch nichts zu klagen, als ob Prüfung Tyranney

Und der Schöpfer aller Dinge des Geschöpfes Hencker sey.


Seele.


Viel gesagt und nichts probiert; wer nicht selber fühlt und leidet,

Der glaubt nimmermehr den Schmerz, der durch Marck und Adern schneidet.

Sieh nur selbst, wie schwer ich trage, miß die Größe meiner Last

Und eröfne mir vertraulich, ob du Grund zu trösten hast.

Rechne meine Jahre nach von der Wiege bis auf heute,

Sage, was ich vor die Müh meiner jungen Zeit erbeute,

Nichts als Unruh in dem Alter und des Lebens Überdruß,

Das ich bey so schwerem Creuze mir zur Sünde schleppen muß.


Weißheit.


Dir zur Sünde?


[308] Seele.


Ja.


Weißheit.


Wieso?


Seele.


Meine Marter zwingt zur Sünde,

Da ich stets den Himmel taub und den Höchsten hart befinde,

Da ich bitte, schrey und seufze und gleichwohl, so starck ich fleh,

Weder Baare noch Errettung und die Plagen wachsen seh.

O wie hab ich in der Welt und in meinen besten Jahren

Durch so vielerley Gefahr Angst und Schweiß und Müh erfahren!

O wie hab ich mich gewunden und auf Hofnung süßer Frucht

Durch erlaubte Sorg und Mittel meines Alters Ruh gesucht!

Jezo hab ich dies davon, daß mich nach so viel Geschäften,

Die dem Nechsten oft gedient, der Verlust von allen Kräften

Täglich schon lebendig tödtet und des höchsten Eifers Macht,

Ohne mich ins Grab zu legen, so empfindlich schlägt und kracht.

Säß ich in der Herrligkeit aller Großen dieser Erden,

Müste selbst das gröste Reich meinen Wüntschen zinsbar werden,

Könt ich aller Welt befehlen, schlöß ich Bengals Reichthum ein,

Oder möchte blos mein Wincken aller Welt Verhängnüß seyn,

Wär es alles doch zu schlecht, die Gesundheit zu ersezen.

Dieser Mangel übertrift den Genuß von allen Schäzen,

Dieser Mangel macht mich mürbe, dieser Jammer sezt mir zu,

Daß ich oft mit Hiobs Flüchen wieder Willen Sünde thu.

O wie seufzt mein schwacher Geist in der Länge trüber Nächte,

Daß mir bald der Morgenstern jenes Lebens scheinen möchte;

O mit was vor Sehnsuchtsblicken seh ich oft den Himmel an,

Wenn ich außer meinen Augen keine Glieder wenden kan.

Gott, der du ein Vater bist derer, die dich brünstig lieben,

Gott, ich bin ja auch dein Kind und in jenes Buch geschrieben,[309]

Wo die Nahmen vieler Frommen schon mit Blut gezeichnet stehn,

Gott, wie pflegstu doch so grausam und erbermlich umzugehn!

Hab ich gleich nicht allemahl, wie ich sollte, recht gehandelt,

Bin ich auch aus Unverstand auf der breiten Bahn gewandelt,

Bin ich doch stets umgekehrt und mit Reu vor dich gekniet.

Kennstu nicht der Menschen Schwachheit, die auch wohl den Frömmsten zieht?

So wie David möcht ich oft Pfiehl und Tuch mit Thränen nezen

Und mich unter Asch und Staub bey der Angst im Winckel sezen,

Da die Ohnmacht des Vermögens und der ganz geringe Rest

Den vorhin gebrauchten Kräften keinen weitern Nuzen läst.

Spanne mich doch endlich aus! Las das Joch vom Halse fallen

Und den lezten Seigerschlag als mein Halleluja schallen!

Reiß die Ketten, brich die Bande, zeuch auch mich mit starcker Hand

So wie Abrahams Geschlechte endlich aus Egyptenland!

O was Sünder seh ich nicht, die auf deine Langmuth pochen!

Ihre Boßheit schwermt und blüht, und dies alles ungerochen.

Sie versuchen dich mit Lastern, machen durch Betrug Gewinn,

Und wenn auch ihr Ziel erschienen, fahren sie mit Lust dahin.

Dies verwirrt mich in der That in den heiligsten Gedancken,

Dieses läst oft die Gedult und des Glaubens Stüze wancken,

Wenn mein dir getreu Gemüthe unter so viel Bürden ächzt

Und nach jener Lebensquelle wie ein Reh im Sommer lechst.

Also schrey ich insgeheim und doch leider stets vergebens

In der langen Pilgrimschaft meines längst vergällten Lebens:

Himmel, ändre dein Verhängnüß, oder schlägstu, ach so schlag

So nachdrücklich und barmherzig, daß ich nichts mehr fühlen mag!


Weißheit.


Wilstu noch bey aller Qual mit der höchsten Allmacht rechten

Und dich vor der Billigkeit als die schlimmste Magd verfechten?

Gürthe dich, tritt her und sage: Bringt dein ganzer Lebenslauf[310]

Nur ein einzig Unrechtszeichen gegen dich vom Höchsten auf?

Fragt ein Töpfer wohl den Thon, was er aus ihm machen solle?

Schreibt ein Holz dem Künstler vor, welch ein Bild es werden wolle?

Steht ein Haar auf deiner Scheitel, so gering und schlecht es scheint,

Welches dein verwegnes Künsteln selber zu erschafen meint?

Wem gehört dein Leib und Geist? Und von wem sind alle Gaben,

Die vom ersten Oden an dich so reich beschüttet haben?

Welcher trug dich in der Kindheit? Wer versorgte dich als Mann?

Und wer hält noch diese Stunde gegen dich mit Wohlthat an?

Ists nicht der, der alles thut und die Menschenkinder liebet,

Der uns nur zum besten schlägt und zur Fröhligkeit betrübet?

Geh nur rückwärts in Gedancken, überschlage deine Zeit

Und die wunderliche Führung von der grösten Gütigkeit.

O wie manchmahl schien es nicht, alles sey nunmehr verloren;

Eh sich kaum dein Herz versah, war die Freude neu gebohren.

Kam ein schwerer Seelenkummer, o so kam auch allemahl

Mitten aus den Finsternüßen ein vergnügter Gnadenstrahl.

Hastu nun das Gute weg und den Kern bisher empfangen,

O so las dich in der Angst um den Abschied nicht verlangen!

Diese Kranckheit ist dein Glücke und ein Bothe von dem Herrn,

Der nur das, was gut ist, sendet; darum trag und leide gern.

Weistu nicht mehr, wo du lebst und in welchem Haus und Lande?

In der Welt; hier weis man nichts als von Noth und Unbestande.

In dem Buche der Versehung steht kein Nahme sonder Creuz,

Und der allgemeine Jammer trift uns Menschen allerseits.

Keiner weis in seiner Pein, wo er sich am ersten tröste,

Jeder hält auch seine Last gegen andre vor die gröste.

Mancher pocht und lacht und schwelget, aber säh man in sein Herz,

O was fände man vor Sorgen und vor Unruh voller Schmerz!

Geh die Zeitregister durch, las dir alle Reiche melden,[311]

Was vor Elend, was vor Gram weise Männer, tapfre Helden

Von dem Gipfel in den Abgrund, von dem Thron in Staub gesezt

Und welch Unglück hin und wieder manch Gewißen ganz verlezt.

Dencke, wie es schmerzen muß, wenn auch Freund einander tödten,

Wenn der Kinder Hand und Dolch in der Eltern Blut erröthen,

Wenn ein frech- und geiler Ruben wie ein andrer Oedipus

Öfters auf sein ganz Geschlechte Fluch und Strafe laden muß,

Wenn die Boßheit Absaloms seinen Vater zweyfach kräncket,

Erstlich, da er ihn verjagt, nachmahls, da er plözlich hencket,

Ja, wenn Hiob Kind und Güter fast auf einen Tag vermißt

Und hernach noch in der Aschen naher Freunde Greuel ist;

Dencke doch nur obenhin an viel tausend tausend Armen,

Die in Frost und Sclaverey sonder Hofnung und Erbarmen

Unter Heiden in den Ketten an dem schwersten Joche ziehn

Und der Last nicht eh entrinnen, bis sie gar der Welt entfliehn.

Überlege, wie es thu, von den Feinden Brodt zu bitten.

Ach, wie manchem Redlichen wird die Unschuld frommer Sitten

Und die Warheit weiser Lehren mit Verfolgung so belohnt,

Daß sie auch in Kluft und Hütten insgemein kaum sicher wohnt!

Sieh den ersten Christen zu, die um ihres Wandels wegen

Sich so freudig und getrost auf die Folter niederlegen!

Schau der Marter Art und Menge, Stricke, Pfähle, Pech und Bley,

Nägel, Geißeln, Rost und Pfriemen und auch andre Tyranney!

Kinder sprizen hier ihr Blut auf der Mutter Brüst und Wangen,

Greise kommen zu der Qual als zur Hochzeit hergegangen;

Die schon abgeschnidtne Zunge danckt mit Lallen vor die Pein,

Und der Rachen wilder Thiere muß der Märtrer Himmel seyn.

Halt dein Elend, das du rühmst, gegen alle diese Plagen,

O so wirstu ganz gewis um viel Centner leichter tragen.

Die Gedult hilft auch mit heben und versüßt den Myrrhentranck.[312]

Hör auch, was die Hofnung singet: Deine Qual ist nicht mehr lang.

Las die Spötter immerhin eine Zeitlang trozig grünen,

Las sie sich der Eitelkeit zur Verdammnüß schön bedienen,

Las sie wachsen bis zur Erndte, warthe mit Gelaßenheit

Wie die Stillen in dem Lande; sie betriegen nicht die Zeit.

Diese, deren Kostbarkeit sie so schlecht als Gott bedachten,

Wird sie als ein Opfervieh von dem blinden Glücke schlachten;

All ihr Reichthum, Spiel und Jauchzen sind die Treber und nur Schein,

Bis sie vor das Schwerd der Rache fett genug gemästet seyn.

Ach, so trag und leide gern nach dem allerhöchsten Willen;

Deiner Glieder schwache Kraft wird des Glaubens Stärcke füllen,

Diese Last erhebt die Sinnen und erdrückt die Weltbegier,

Und ein jeder Schmerz erinnert, gleich als spräch er: Fort von hier!

Ohne Läuterung schlecht Gold, ohne Prüfung schlechte Christen!

Ach, wenn viel die Süßigkeit und des Creuzes Nuzen wüsten,

Mancher würde noch wohl bitten: Vater, gieb noch eins dazu!

Denn das eußerliche Stürmen dient zur innerlichen Ruh.

Sieh nun erstlich auf dich selbst, sieh, wie Fleisch und Kräfte schwinden;

Und so hilft auch selbst die Qual dir, o Seele, zum Entbinden.

Durch die Länge im Gefängnüß nüzen sich die Feßel ab,

Und das Gleiten in der Ohnmacht bringt uns endlich in das Grab.

Sieh auch rückwärts, was nach dir und in deinen Häusern bleibet,

Als woran die Vorsichtshand Obededoms Seegen schreibet.

Deine wohlgerathne Kinder werden in viel tausend blühn

Und von wegen deines Wandels bey der Nachwelt Früchte ziehn.

Thu auch endlich einen Blick dort nach Salems Schedelstätte,

Sieh den Oelberg und versteh: So ein blutiges Gebethe,

Das den Kelch zurücke wüntschet, legt mehr Seelenangst an Tag,[313]

Als ein Sterblicher ergründen und ein Engel tragen mag.

Mercke doch das arme Lamm, das vor andre bräth und leidet!

Siehstu nun das Seelenschwerd, das der Mutter Brust durchschneidet?

Sünder würgen den Gerechten, las den Thränen freyen Lauf,

Er kommt um und stirbt vor andre, aber niemand achtet drauf.

Weine doch, so viel du kanst, denn zum Feuer seiner Plagen

Hat auch deiner Schwachheit Schuld manches Stroh und Holz getragen;

Weine doch nunmehr vor Freuden, denn durch diesen Schmerz und Tod

Ist dein Schmerz und Tod gehoben; o was hat es mehr vor Noth!

Ein zuvor verfluchtes Holz wird dir jezt zum Baum des Seegens,

Aus der Seite schiest ein Strom, der nach Art des Frühlingsregens,

Der das dürre Land erquicket, Trost und Glauben fruchtbahr macht

Und dich bey dem rothen Meere ins gelobte Land gebracht.

Sieh zum Voraus über dich, obgleich noch in duncklem Orte,

In die Freystatt jener Welt! Ach, hier fehlen mir die Worte

So wie dir noch das Vermögen, das im Wesen anzuschaun,

Was die Allmacht und die Liebe vor die Auserwehlten baun.

Alles Leiden dieser Welt, aller Martern Läng und Arten,

Ist nicht werth der Herrligkeit, die die Frommen dort erwarthen.

Seele, liebe doch die Schmerzen, die dein Cörper etwas trägt

Und auf die der Mund der Warheit gar so reichen Wucher legt.

Endlich sieh auch vor dich hin auf die Ruhstatt aller Sorgen,

In die angenehme Nacht, die nach manchem bösen Morgen

Deinen mürben Rest erquicket; o wo ist ein sichrer Haus?

Hier schweigt endlich der Verfolger, und hier hat die Misgunst aus.

O wie sanfte wird es thun, wenn die Schenckel nun erkalten

Und die Engel deinen Geist zum Triumphe fertig halten![314]

O da wirstu sehn und schmecken, was die ziemlich bittre Frucht

Deiner langen Kranckheitsbürde vor ein süßes Heil gesucht!

Siehstu dieses insgesamt, so geneset dein Gemüthe,

Denn du siehst hier überall Zeichen von der höchsten Güte.

Und so kan ich freudig sprechen: O wie wohl wird dir geschehn!

Seelig sind nunmehr die Augen, die da sehn, was du gesehn.


Seele.


Ach genug vor meinen Trost! Herr vom Glücke, Zeit und Tagen,

Der du mich von Jugend an bis ins Alter hast getragen,

Mein Gehorsam küst die Hände, deren Zucht mich bey dir hält:

Ich bescheide mich in allem; komm nur, wenn es dir gefällt.

Quelle:
Johann Christian Günther: Sämtliche Werke. 6 Bände, Band 4, Leipzig 1935, S. 307-315.
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