[Dies ist die Losung unsrer Pflicht]

[28] [28] Unterthänigstes Abendopfer, welches ihro hochreichsgräfl. Excellenz,dem hochgebohrnen Herrn, Herrn Hans Anton Schaffgotsch, des Heil. Röm. Reichs Grafen etc. etc. bey dem glücklich erschienenen Zeitwechsel des 1715. Jahres in einer Cantata anzündeten ihro hochreichsgräfl. Excellenz in der Evangelischen Gnadenschule vor Schweidniz studirende unterthänigste Knechte.


Sonata con tutti l'istrom.


Herr, hebe an zu seegne dies Haus, denn was du,

Herr, seegnest, das ist geseegnet ewiglich.


Recitat.


Dies ist die Losung unsrer Pflicht,

Dies ist der Ausbruch unsrer Liebe,

Die in der Brust verschloßnen Triebe

Erdulden das Gefängnüß nicht.

Schau, theurer Graf, die Schuldigkeit

Reißt uns zu deinen Füßen,

Der Mund begehrt dein Kleid,

Das Herze deine Gunst zu küßen.

Das Auge dieser Welt

Läst sich zwar nur mit Adlersaugen schauen.

Wer gerne von dem Himmel fällt,

Der mag mit Spott und Hohn

Wie Daedals Sohn

Der Sonne Wachs vertrauen.

Herr, deiner Hoheit Glanz,

Den schon der Ariadne Kranz

Als seinen Nachbar neidet,

Verweist uns die verwegne That.[29]

Doch weil der Mandelstrauch

Sich in geringen Eppich kleidet,

Und auch

Das allergröste Licht

Den Schatten zum Gefehrten hat,

So gieb, daß deine Gütigkeit

Mit unserer Verwegenheit

Sich wie dein Ohr mit unserm Munde paare,

Und mache, daß dein Gnadenstrahl

Vor diesesmahl

In unsre Thäler fahre.

Der Saythen gleich gestimmter Thon

Entdeckt dir schon

Die Harmonie der Herzen,

Die vor dein hohes Wohlergehn

Im Wüntschen stets einander beyzustehn,

Nicht mit dem Ernste scherzen.


Aria 1.


Con Violino solo.


Vielerley Trauben versäuren den Most,

Vielerley Balsam entkräftet die Kräfte,

Vielerley Kräuter verderben die Säfte,

Vielerley Würze verbittert die Kost.

Die Eintracht im Wüntschen beschleunigt den Seegen

Und schickt der Erfüllung den Herold entgegen.


Recitat.


Sonata.


Elysien trozet, hochgebohrnes Haupt,

Auf dein vergöttertes Geschlechte,

Das allen andern fast mit Rechte

Den Glanz ertheilt, den Vorzug raubt.

Jedoch dein eigner Ruhm

Erhöht der Ahnen Alterthum,[30]

Durch deinen Geist kömmt ihre Tugend wieder,

Der Fama selber das Gefieder

Zur Himmelfahrt bestimmt.

Du bist des Glückes rechte Hand,

Aus der das Vaterland

Den Reichthum seiner Schäze nimmt,

Und was Mäcenas dort gewesen,

Das läst sich hier,

Das können wir

Aus deiner Großmuth lesen,

Und also hastu nun

Die Warheit zum Propheten:

Eh werde Neid und Misgunst ruhn,

Bey fremdem Wohl sich selber weh zu thun,

Als die Vergängligkeit,

Als die Vergeßenheit

Den Nachruhm der von Schaffgotsch tödten.


Aria 2.


Con Violin. unisono & Hautbois.


Die Tugend trägt Asbest,

Der nicht verwesen läst,

Sie kauft die reinste Seide

Der Tapferkeit zum Kleide.

Ihr unauslöschlich Licht

Brennt und verzehrt sich nicht,

Ihr Wohnhaus sieht von ferne

Die Niedrigkeit der Sterne

Und steht so hoch als fest.

Da Capo.


Recitat.


Auf nun, ihr Musenkinder, auf!

Verschneidet eurer Scham die Flügel

Und last der Danckbarkeit den Zügel

Und last den Wüntschen ihren Lauf.


[31] Arioso.


Erhebet, lobt und liebt

Den Baum, der euch den Schatten giebt,

Becrönt den Brunnen, der euch tränckt,

Umkränzt den Brunnen, der euch schenckt,

Küst höchstentzückt die Hand, so euch beschüzet,

Verehrt den Arm, auf welchen sich

Des Landes Heil,

Der Wohlfahrt gröster Theil

Und unser Helicon als einen Atlas stüzet.


Recitat.


Nun, theurer Graf,

Der jezt erwachte Schlaf

Erweckt bey uns das Eilen.

Drum soll die Unterthänigkeit,

So dir das Abendopfer weiht,

Sich länger nicht verweilen.

Das neue Jahr,

So in der angebrochnen Nacht

Die Welt schon wieder älter macht,

Sagt deiner Brust Zufriedenheit,

Sagt dir des Glückes Dienstbahrkeit,

Sagt uns auch diesen Trost schon wahr,

Daß uns der Misbrauch deiner Gnade,

Der jezt von uns geschehn,

Die wir auch heute sehn,

Ins Künftige niemahls durch ihren Abgang schade.


Aria 3.


En Menuet.


Blüh, theurer Schaffgotsch, blüh und lebe!

Kein Fall ersteigt dein Grafenhaus,

Das Glücke zollt dir Zins und Hebe,

Dein Stammbaum schlage täglich aus,

Bis einst die Nachwelt Schnaten bricht

Und um der Enckel Cronen flicht.

Quelle:
Johann Christian Günther: Sämtliche Werke. 6 Bände, Band 4, Leipzig 1935, S. 28-32.
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