[Verdammte Tadelsucht, du Seuche dieser Zeit]

[35] [35] Die den 5. Febr. a. 1715. in Schweidniz glücklich vollzogene Fuchsius- und Schrammische Verbindung bediente eine vielen misgünstigen sonder Ursach verhaste Feder.


Risum teneatis, amici?


Verdammte Tadelsucht, du Seuche dieser Zeit,

Du Bastart der Vernunft, du Tochter der Megäre,

Wie lange schändestu den Leumund fremder Ehre,

Wie lange trozt dein Maul auf die Verwegenheit?

Geh, tolle Furie, versammle deine Schwestern,

Nimm Misgunst, Haß und Neid zu Bundsgenoßen an,

Errege den Avern und las den wilden Pan

Mit seinen Satyren die Poesie verlästern!

Was gilts? Des Phoebus Glanz und seiner Gottheit Schein

Wird ein verzehrend Feur für deine Thorheit seyn.


Gemach, erhizter Kiel, der Worte Raserey

Vermag nicht die Natur der Boßheit fromm zu machen,

Verwandle deinen Zorn in ein verächtlich Lachen

Und brich den Lästerpfeil durch diesen Schild entzwey!

Die Schmähsucht läst sich doch den Eifer nicht bekehren,

Den ein gerechter Schmerz der Unschuld abgelockt;

Sie bleibt wie Pharao bis in den Tod verstockt,

Vergiftet Mithridat, belacht des Nechsten Zähren

Und spricht, so bald sein Lob ihr in die Ohren fällt:

Was hindert, daß mein Schimpf nicht deßen Wachsthum hält?


Kein Stand wird überdies von ihrer Wut verschont,

Ihr Geifer trift so wohl den Purpur als den Kittel,

Und schlüge sich nicht oft die Ohnmacht in das Mittel,

So wäre der kaum frey, der in dem Himmel wohnt,

Sie reizt den Simei, der Majestät zu fluchen,

Sie nennt die Gottesfurcht ein Kind der Heucheley,[36]

Sie geht die Tugenden des Nechsten stets vorbey

Und pfleget blos an ihm die Fehler aufzusuchen,

Sie liebt das Eigenlob, sie schilt, was andre thun,

Und läst die Todten nicht in ihrer Asche ruhn.


Schickt man das Auge nur in die gelehrte Welt,

So wird sich bald ein Schwarm von Momus-Brüdern wittern,

Die diese Schlangenbrut in ihrem Busen füttern,

Den eine Waßersucht der Hoffart aufgeschwellt.

Dies aufgeblasne Volck, dem Bacchus das Gehirne,

Die Pallas aber Bauch und Lenden schwanger macht,

Denckt, wenn es ein Pasquill mit Angst zur Welt gebracht,

Daß sich der Juvenal aus Eifersucht erzürne,

Da der Beleidigte die Schrift, so ihn verlezt,

Doch mehr erbarmungswerth als ahndenswürdig schäzt.


Das macht der stolze Sinn und der verkehrte Wahn,

Auch wie Herostratus durch Laster groß zu werden.

Ein solcher Zoilus pflügt oft mit fremden Pferden,

Greift mit geborgter Hand das Haar des Nachbars an.

Sein Irrlicht scheinet ihm ein Stern der ersten Größe,

Er tadelt und verwirft, was sein Verstand nicht fast;

Ja, weil die Klugheit ihn als ihren Stiefsohn hast,

So deckt er seine Scham mit eines andern Blöße

Und führt, worauf sich doch die Heringsbuden freun,

Die Theurung an Papier durch sein Verschmieren ein.


Wie aber schwermet nicht des Pöbels Unverstand,

Wenn ihn der Vorwiz plagt? Last die Erfahrung sprechen,

Geht zur Gesellschaft hin, durchwandert alle Zechen,

Besucht den Frauenmarckt, der Lügen Vaterland;

Doch endlich tretet auch zu Cajens Wochenbette

Und hört, was man allda von der und dieser spricht.

Mich deucht, die Reden sind: Ich weis warhaftig nicht,

Warum Clarinde freyt. Wie kommt es, daß Rosette

Die Farbe wieder kriegt? Die Flora ist ein Kind,

Wo sie den Alten nicht vor andern lieb gewinnt.
[37]

Dergleichen Unvernunft kommt auch bey Männern vor,

Zumahl wo Bier und Wein die Klugen erst versammlen;

Denn lehret gleich der Trunck die schwere Zunge stammlen,

So lehnt man dennoch auch einander Mund und Ohr.

Zwey sind schon starck genug, den dritten durchzuhecheln;

Dem hält der Eigensinn der Schwiegermutter her;

Der streicht den Bart und spricht: Wenn ich nur Feldherr wär,

Die Feinde sollten bald in ihrem Blute röcheln;

Dem macht der Prediger die Lehrart viel zu schlecht,

Dem unser Herrgott selbst das Wetter selten recht.


So geht es, wenn der Neid mit Maulwurfsaugen schielt

Und seinen Balcken nicht vor Eigenliebe schauet,

Wohl aber als ein Luchs auf das Gesichte trauet,

An dem sein Bruder gleich nur einen Splitter fühlt.

Ihr Heuchler, kehret doch den Koth von euren Thüren,

Eh ihr den Beesen noch auf fremdes Pflaster sezt;

Glaubt, der Verleumdungsdolch, den ihr auf andre wezt,

Kan seine Spize wohl an eurer Brust probieren,

Indem doch euer Herz ein Pharisäer ist,

Der eine Mücke säugt und zehn Cameele frißt.


Verlobter Bräutigam, wie hat der Müßiggang

Mit seinen Schülern nicht, die Unschuld zu betrüben,

Bey dein Versprechungs-Ja ein schwarzes Creuz geschrieben!

Manch unverschämtes Blat will eine Richterbanck

Von deiner Heirat seyn. Gedult! Wenn Bethels Knabe

Dort den Propheten schilt, stopft ihm der Bär das Maul.

Wer weis, die Rache macht den Himmel noch nicht faul,

Auf welchen Kirchhof sich der Feinde Troz begrabe;

Genug, daß, da dein Haupt auf Anmuthsfedern liegt,

Die auserlesne Braut dich in dem Arme wiegt.


Denn diese, wie es selbst die Warheit zugesteht,

Ist einzig und allein das Pflaster deiner Wunde.

Riß vor die Thränensee dein Freudenschif zu Grunde,

So seegle nun getrost! Ihr kräftiger Magnet[38]

Wird mit der Sicherheit dich in den Port begleiten.

Betrachte nur dies Bild, den Spiegel reiner Zucht,

Ihr Anblick schlägt bey dir den Kummer in die Flucht;

Die Blumen, welche sich auf ihren Wangen breiten,

Sind Rosen und Jasmin von nicht gemeiner Art,

Weil sie der Keuschheit Fleiß auf deine Hand verspart.


Nunmehr, vergnügtes Paar, erinnert mich die Zeit,

Den Eckel und Verdruß dem Leser zu verhüten.

Drum rüstet sich mein Wuntsch, den Weihrauch auszuschütten,

Dem eurer Andacht Glut Geruch und Kraft verleiht.

Der Herr, Herr, der die Treu an seinem Priester kennet,

Bestätige den Bund, den eure Liebe schleust;

Er gebe, daß kein Fall das Eintrachtsband zerreißt,

Bis Neid und Misgunst euch die Gunst des Himmels gönnet,

Damit ein Glücke stets das andre nach sich zieh

Und eurer Jahre Lenz auch in dem Winter blüh!

Quelle:
Johann Christian Günther: Sämtliche Werke. 6 Bände, Band 4, Leipzig 1935, S. 35-39.
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