Wie König Sigurd gen Alfheim kam

[385] Zu Alfheim von den Zinnen wehten Fahnen viel,

Man streute Maien drinnen und stimmte Saitenspiel:

Botschaft war gekommen vor der Burgherrn Ohr,

Wie König Sigurd zöge vom Meergestad' empor.


Sie schritten ihm entgegen bis vor des Schlosses Wall,

Die beiden kühnen Degen, Erek Harfenschall

Und Alf im blonden Barte: nicht froh war ihr Mut;

Was am Strand geschehen, sie wußten's von der Schwester gut.


Draußen auf der Brücke sie harrten mit Bedacht,

Da sprach der junge Erek: »Mir träumte zu Nacht,

Einen Geier säh ich fliegen von königlicher Art

Und plötzlich niederstoßen auf ein Täublein zart.


Das schneeweiße Täublein sich barg in meinem Schoß,

Doch konnt' ich's nimmer schirmen vor des Unholden Stoß;

Er würgt' es ohn' Erbarmen. Nun fürcht' ich, Bruder mein,

Alfsonne möchte die Taube und Sigurd Ring der Geier sein.


Wie sollen wir ihm wehren, so er der Maid begehrt?« –

»Dafür«, sprach Alf Blondbart, »tragen wir ein Schwert

Und lichte Schild' und Panzer. Nie soll das rosige Weib

Kaltem Winter schenken den lenzhaften Leib.«


Da sie also red'ten, erhub sich heller Klang

Von Zimbeln und Drommeten. Es zog das Tal entlang

Inmitten seiner Degen König Sigurd Ring;

All sein Ingesinde im Festgeschmeide ging.


Bis auf der Brücke Mitten, wo das Banner stand,

Trat ihm Alf entgegen; er trug in seiner Hand

Ein kunstreiches Trinkhorn von Gold und Edelstein,

Das war zum Rand gefüllet mit dem allerbesten Wein.[385]


Den greisen König grüßt' er, wie's geziemend war,

Zum Willkommen bot er den Labetrunk ihm dar.

Da neigten sich alle Mannen aus Alfs und Ereks Haus,

Sigurd nahm das Goldhorn, doch trank er nicht daraus.


Er sprach: »Ich will nicht trinken noch ruhn an Eurem Herd,

Bis daß ich Euch verkündet, was mein Herz begehrt.

Ist grau mein Haupt geworden, so ward es ehrenreich,

Und gilt eine gelbe Krone wohl gelben Haaren gleich.


Ich minn' um Eure Schwester, daß Ihr zum Gemahl

Sie mir geben möchtet. Sie soll den finstern Saal

Erleuchten meinem Alter mit ihrer Jugend Schein;

Alfsonn' im Goldgelocke soll König Sigurds Sonne sein.«


Da sprach mit Stirnrunzeln Alf im blonden Bart:

»Kurz Wort will kurze Antwort. Ist Eurer Alfheimsfahrt

Dies das Ziel gewesen, so kehrt in Frieden heim;

Auf Euer Lied, Herr König, weiß ich keinen Reim.


In späten Herbstestagen, da es friert und schneit,

Bricht man keine Rosen. Auch war zu aller Zeit

Ein scheues Wild die Minne, das holde Jugend allein

Zur Beute mag gewinnen. Drum stellet Euer Werben ein.«


Stumm stand da Sigurd. Ihm fuhr es durch den Sinn,

Wie er einst gefahren durch Blut und Leichen hin

Auf Brawallas Heide gleich Odins Wetterleucht',

Daß aller Helden Häupter sich unter ihm gebeugt,


Und wie er nun verschmäht sei. Da schoß das rote Blut

Brennend ihm ins Antlitz; er preßte zorngemut

Also stark das Goldhorn, das seine Faust umschloß,

Daß draus hochaufspritzend der Wein gen Himmel schoß.


Dann wandt' er sich zu Tale und rief hinauf den Wall:

»Fahret wohl, Alf Blondbart und Erek Harfenschall!

Fahr wohl dazu, Alfsonne, du wonnigliches Kind!

Ihr sollt es noch verspüren, wie König Sigurd minnt.«

Quelle:
Emanuel Geibel: Werke, Band 1, Leipzig und Wien 1918, S. 385-386.
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