Der Informator

[168] Ein Bauer, der viel Geld und nur zween Söhne hatte,

Nahm einen Informator an.

»Ich«, sprach er, »und mein Ehegatte,

Wir übergeben Ihm, als einem wackern Mann,

Was uns am liebsten ist. Führ' Er sie treulich an;

Er sieht's, es sind zwei muntre Knaben,

Und freilich wird Er Mühe haben;

Allein ich will erkenntlich sein.

Ich halte viel aufs Rechnen und aufs Schreiben:

Dies laß Er sie fein fleißig treiben,

Und präg' Er ihnen ja das Christentum wohl ein.

Ich kann's Ihm nicht so recht beschreiben;

Allein Er wird mich wohl verstehn.

Ich möchte sie gern klug und ehrlich sehn:

Dies macht bei aller Welt gelitten

Und ist vor Gott im Himmel schön;

Erfüll' Er also meine Bitten!

Hier geb' ich Ihm zwei Stübchen ein,

Und was Er braucht, das soll zu Seinen Diensten sein.«


Der Lehrer fand ein Herz bei seinen Bauerknaben,

Als hundert Junker es nicht haben;

Denn zeugt nicht manches schlechte Haus

Oft Kinder mit den größten Gaben?

Und bildete die Kunst den rohen Marmor aus,

was würden wir für große Männer haben!

Wohl mancher, der im Krug so gern Mandate liest,

Trüg' itzt verdient als Staatsmann seinen Orden;

Wohl mancher, der bei einem Bauernzwist,

Versehn mit Kühnheit und mit List,

Aus Ehrgeiz gern der Führer ist,

Wär' einst ein größrer Held geworden,

Als du, vornehmer Held, nicht bist!


Der junge Mann, geschickt im Unterrichten,

Erfüllte redlich seine Pflichten;[168]

Und dies gefiel dem Bauer sehr.

Er hielt ihn ungemein in Ehren,

Kam oft, den Kindern zuzuhören,

Als ob's die Pflicht der Väter wär'.


Nun war ein Jahr vorbei. »Herr«, sprach der gute Bauer,

»Was soll für Seine Mühe sein?« –

»Ich fordre dreißig Taler.« – »Nein,«

»Nein«, fiel der Alte hitzig ein,

»Sein Informatordienst ist sauer.

So kriegte ja der Großknecht, der mir pflügt,

Beinah' so viel, als der Gelehrte kriegt,

Der das besorgt, was mir am Herzen liegt.

Die Kinder nützen Ihn ja durch ihr ganzes Leben.

Nein, lieber Herr, das geht nicht an,

So wenig giebt kein reicher Mann.

Ich will Ihm mehr, ich will Ihm hundert Taler geben

Und mich dazu von Herzen gern verstehn,

Ihm jährlich diesen Lohn ansehnlich zu erhöhn.

Gesetzt, ich müßt' ein Gut verpfänden;

Auch das. Ist's denn ein Bubenstück?

Viel besser, ich verpfänd's zu meiner Kinder Glück,

Als daß sie's, reich und lasterhaft, verschwenden.«


Hat dies sich wirklich zugetragen?

Ja, wirklich. Glaub' es auf mein Wort.

Ich wollte dir sogar den Ort,

Wo dieser Bauer wohnt, und seinen Namen sagen;

Allein dies wär' für ihn betrübt.

Er würde nur Verdruß vom Edelmanne haben,

Weil der für sein halb Dutzend Knaben

Mit vielem Stolz kaum dreißig Gülden giebt.

Quelle:
Christian Fürchtegott Gellert: Werke, Band 1, Frankfurt a.M. 1979, S. 168-169.
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