Dorant

[177] Erschrocken kam Frontin zu seinem Freund Dorant.

»Ach, liebster Freund, ist dir's denn nicht bekannt?

Ich kann vor Zorn kein Glied mehr rühren!

Bedenke die verfluchte List,

Man strebt nach dem, was dir am liebsten ist:

Man will dir deine Frau entführen.

In dieser Nacht noch soll's geschehn.

Unglücklicher! Was willst du machen?

Laß doch geschwind das Haus bewachen.

Mein Blut soll dir zu Diensten stehn,[177]

Und ich will augenblicklich gehn,

Den Garten und den Hof verschließen.«


»Nein«, schrie Dorant, »willst du mich glücklich wissen:

So laß die Türen offen stehn!«


Ihr Weiber, dieses klingt nicht schön!

Ist's möglich, seid ihr an den Plagen

Liebloser Ehen wirklich schuld? –

Ja, nach der Männer ihren Klagen

Sind wir durch widriges Betragen

An aller Qual der Ehen schuld;

Doch wenn bald nach den Hochzeittagen

Die Männer uns gebietrisch plagen,

Die uns vergöttern, wenn sie frein,

Wie können wir da lange zärtlich sein? –

Ihr Männer, dieses klingt nicht fein!

Quelle:
Christian Fürchtegott Gellert: Werke, Band 1, Frankfurt a.M. 1979, S. 177-178.
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