Rhynsolt und Lucia

[182] Umsonst wandt' Rhynsolt alles an,

Ein reizend Weib, getreu dem Mann,[182]

Ein edles Herz zur Wollust zu verführen.

Ihm öffnete sein hoher Stand ihr Haus;

Allein sie wich des Fürsten Liebling aus

Und ließ ihn die Verachtung spüren,

Die der, wär's auch ein Prinz, verdient,

Der sich, die Tugend zu verführen,

Aus Niederträchtigkeit erkühnt.


Was kann das Laster nicht erzwingen,

Wenn es die Hoheit unterstützt!

Sollt' es der Brunst, die Rhynsolts Herz erhitzt,

Durch Unrecht nicht, nicht durch Gewalt gelingen?

Gerichtlich zieht er bald des Weibes Eh'mann ein

Und eilet, ihm das Leben abzusprechen.

Allein, was ist denn sein Verbrechen?

Ist's mehr noch, als der Mann der schönsten Frau zu sein,

Die von der Pflicht nicht weicht, den Mann allein zu lieben?

Ja, Rhynsolt zeigt, wer Danvelt sei,

Er überführet ihn der Landsverräterei

Durch Briefe, die er nie geschrieben.

Und morgen eilt sein Todestag herbei.


Sein Weib wirft sich zu Rhynsolts Füßen

Und klagt und fleht verzweiflungsvoll.

Doch auch das Auge selbst, aus dem itzt Thränen schießen,

Das Ach, das ihn mitleidig machen soll;

Ein Blick, beseelt von Wehmut und von Treue,

Und Hände, die gerungen flehn,

Erhitzen nur des Richters Glut aufs neue.

Nie sah er Lucien so schön.

Er klagt ihr sein unkeusches Feuer. –

Verschämte Muse, sag's nicht nach,

Was ein erhabnes Ungeheuer

Zu einem frommen Weibe sprach!


Um sie durch ihren Mann zu rühren,

Läßt er sie selbst in seinen Kerker führen

Und läßt sie da mit ihm allein.

Sie kämpfen mit dem größten Leiden,

Lieb' und Verzweiflung spricht aus beiden.
[183]

»O Danvelt! soll ich dich vom Tode nicht befrein?

Man eilt, dich schrecklich hinzurichten.

Vergess' ich nicht noch heute meiner Pflichten:

So wirst du morgen nicht mehr sein.

Willst du die Schande mir verzeihn:

Nun so gebeut!« – Sie zittert, mehr zu sagen,

Und drückt ihn starr an ihre Brust.

Er klagt und weint in ihre Klagen:

Ihn schreckt ein doppelter Verlust.

»Soll ich den Tod, den peinlichsten, erdulden?

Befreist du mich durch deine Schmach:

So sind es zwar nicht deiner Tugend Schulden;

Und doch – O Gott! was soll ich nun erdulden?«


Der Morgen kömmt; und Lucia,

Die Danvelts Tod vor Augen sah,

Ergiebt sich thränend dem Barbaren.

Er stillt die Brunst und bittet ungescheut,

Mit einer gleichen Gütigkeit

Auch gegen ihn in Zukunft fortzufahren.

»Itzt aber«, fängt er lächelnd an,

»Itzt kannst du deinen lieben Mann

Nach deinem Wunsch aus seinem Kerker holen;

Doch daß er mir nicht künftig schaden kann:

So hab' ich das zugleich gethan,

Was Lieb' und Klugheit mir befohlen.

Ich weiß, du zürnst deswegen nicht.«


Sie flieht mit Scham und mit verletzter Pflicht,

Des Mannes Kerker aufzuschließen.

Doch Himmel! ohne Haupt lag er zu ihren Füßen.


Sie steht erstarrt; kein Ach erschallt,

Man sieht auch keine Träne rinnen.

Des Schmerzens tödliche Gewalt

Heißt sie allein auf Rache sinnen.

Sie sucht den Hof, wo Karl, ihr Fürst, regiert,

Und hat das Glück, den Fürsten zu erreichen.

»Wenn dich«, ruft sie, »die Schmach der Tugend rührt:

So laß, o Karl, dich itzt mein Flehn erweichen![184]

Es ist zu spät, mein Schutz zu sein.

Du kannst nichts thun als mich Elende rächen.

Denn Rhynsolt – Strafe sein Verbrechen;

Ich schäme mich, es auszusprechen.

Lies diese Schrift und fühle meine Pein!«


Karl liest, und eine fromme Zähre

Fließt von des Helden Angesicht

Der Tugend und auch ihm zur Ehre.

Ihr Fürsten, welch ein Lobgedicht!

Karl liest, und eine fromme Zähre

Fließt von des Helden Angesicht.


Doch ist's genug, das Laster zu beweinen?

Ein Tag wird angesetzt; der Liebling muß erscheinen,

Und gleich nach ihm tritt Lucia herein.

»Kennst du dies Weib?« spricht Karl. Ein plötzliches Erschrecken

Verrät den Bösewicht; er räumt das Laster ein;

Und ihre Schande zu bedecken,

Will er mit ihr vermählet sein.

Der Fürst läßt gleich den Bischof kommen

Und wohnt der Trauung selber bei.

»Du«, spricht er, »hast sie zwar aus Furcht vor mir genommen;

Doch dies beweist nicht deine Treu;

Sie zur Vergebung zu bewegen,

Verschreib' ihr alle dein Vermögen.«

Er thut's. »Sieh, Lucia«, fing drauf der Herzog an,

»Du bist durch mich gerächt; allein aus gleichen Pflichten

Räch' ich nunmehr auch deinen Mann.«

Und er gebot, den Liebling hinzurichten.

Quelle:
Christian Fürchtegott Gellert: Werke, Band 1, Frankfurt a.M. 1979, S. 182-185.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Fabeln und Erzählungen
Poetische Fabeln und Erzählungen: Teil 2
C. F. Gellerts Fabeln und Erzählungen
Fabeln Und Erzaehlungen
Gesammelte Schriften, 7 Bde., Bd.1, Fabeln und Erzählungen
Christian Fürchtegott Gellert: Fabeln und Erzählungen

Buchempfehlung

Meyer, Conrad Ferdinand

Gedichte. Ausgabe 1892

Gedichte. Ausgabe 1892

Während seine Prosa längst eigenständig ist, findet C.F. Meyers lyrisches Werk erst mit dieser späten Ausgabe zu seinem eigentümlichen Stil, der den deutschen Symbolismus einleitet.

200 Seiten, 9.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier III. Neun weitere Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier III. Neun weitere Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Für den dritten Band hat Michael Holzinger neun weitere Meistererzählungen aus dem Biedermeier zusammengefasst.

444 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon