Das Pferd und die Bremse

[56] Ein Gaul, der Schmuck von weißen Pferden,

Von Schenkeln leicht, schön von Gestalt,

Und, wie ein Mensch, stolz in Gebärden,

Trug seinen Herrn durch einen Wald;

als mitten in dem stolzen Gange

Ihm eine Brems' entgegen zog,

Und durstig auf die nasse Stange

An seinem blanken Zaume flog.

Sie leckte von dem heißen Schaume,

Der heficht am Gebisse floß;

»Geschmeiße!« sprach das wilde Roß,

»Du scheust dich nicht vor meinem Zaume?

Wo bleibt die Ehrfurcht gegen mich?

Wie? darfst du wohl ein Pferd erbittern?

Ich schüttle nur: so mußt du zittern.«

Es schüttelte; die Bremse wich.


Allein sie suchte sich zu rächen;

Sie flog ihm nach, um ihn zu stechen,[56]

Und stach den Schimmel in das Maul.

Das Pferd erschrak und blieb vor Schrecken

In Wurzeln mit dem Eisen stecken

Und brach ein Bein; hier lag der stolze Gaul.


Auf sich den Haß der Niedern laden,

Dies stürzet oft den größten Mann.

Wer dir als Freund nicht nützen kann,

Kann allemal als Feind dir schaden.

Quelle:
Christian Fürchtegott Gellert: Werke, Band 1, Frankfurt a.M. 1979, S. 56-57.
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