Das Vermächtnis

[135] Oront, der in der Welt das große Glück erlebt,

Das Fürsten oft den Hirten lassen müssen,

Das Glück, von einem Freund sich treu geliebt zu wissen,

Oront, der sich dies Glück, so arm er war, erstrebt,[135]

Ward krank. Sein kluger Arzt sah aus verschiednen Fällen,

Daß keine Rettung möglich war,

Eröffnete dem Kranken die Gefahr

Und hieß ihn bald sein Haus bestellen.


Oront, der sich nunmehr dem Irdischen entziehn

Und, frei im Geist, den Tod erwarten wollte,

Bat, daß man seinen Freund ihm eiligst rufen sollte.

Sein Freund, sein Pylades, erschien.

»Ach!« sprach Oront nach zärtlichem Umfassen,

»Ich sterb', und was mir Gott verliehn,

Will ich, mein Freund! dir hinterlassen:

Dir laß ich meinen Sohn, ihn redlich zu erziehn,

Und meine Frau, sie zu ernähren:

Denn du verdienst, daß sie dir angehören.«

Quelle:
Christian Fürchtegott Gellert: Werke, Band 1, Frankfurt a.M. 1979, S. 135-136.
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