Der Knabe

[158] Ein Knabe, der den fleißigen Papa

Oft nach den Sternen gucken sah,[158]

Wollt' auch den Himmel kennen lernen.

Er blieb steif vor dem Sehrohr stehn

Und sah begierig nach den Sternen;

Allein er konnte nicht viel sehn.

»Was heißt es denn«, sprach drauf der Knabe,

»Daß ich fast nichts erkennen kann?

Ha, ha, nun fällt mir's ein, was ich vergessen habe;

Mein Vater fängt es anders an,

Er blinzt zuweilen zu, das hab' ich nicht gethan.

O bin ich nicht ein dummer Knabe!

Schon gut! Nun weiß ich, was ich thu'.«

Und hurtig hielt er sich die Augen beide zu

Und sah durchs Sehrohr nach den Sternen.

Der Narr! was sah er denn? Das alles, was du siehst,

Wenn du, um durch die Schrift Gott deutlich sehn zu lernen,

Dir die Vernunft vorher entziehst.

Quelle:
Christian Fürchtegott Gellert: Werke, Band 1, Frankfurt a.M. 1979, S. 158-159.
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