Der Tod der Fliege und der Mücke

[128] Der Tod der Fliege heißt mich dichten;

Der Tod der Mücke heischt mein Lied.

Und kläglich will ich dir berichten,

Wie jene starb und die verschied.


Sie setzte sich, die junge Fliege,

Voll Mut auf einen Becher Wein;

Entschloß sich, that drei gute Züge

Und sank vor Lust ins Glas hinein.


Die Mücke sah die Freundin liegen:

»Dies Grabmal«, sprach sie, »will ich scheun,

Am Lichte will ich mich vergnügen

Und nicht an einem Becher Wein.«


Allein verblendet von dem Scheine,

Ging sie der Lust zu eifrig nach;

Verbrannte sich die kleinen Beine

Und starb nach einem kurzen Ach!


Ihr, die ihr, euren Trieb zu nähren,

In dem Vergnügen selbst verdarbt!

Ruht wohl und laßt zu euren Ehren

Mich sagen, daß ihr menschlich starbt.[128]

Quelle:
Christian Fürchtegott Gellert: Werke, Band 1, Frankfurt a.M. 1979, S. 128-129.
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