Die glückliche Ehe

[111] Gedankt sei es dem Gott der Ehen!

Was ich gewünscht, hab' ich gesehen:

Ich sah ein recht zufriednes Paar;

Ein Paar, das ohne Gram und Reue,

Bei gleicher Lieb' und gleicher Treue

In kluger Ehe glücklich war.


Ein Wille lenkte hier zwo Seelen.

Was sie gewählt, pflegt er zu wählen,

Was er verwarf, verwarf auch sie:

Ein Fall, wo andre sich betrübten,

Stört ihre Ruhe nie. Sie liebten,

Und fühlten nicht des Lebens Müh'.


Da ihn kein Eigensinn verführte

Und sie kein eitler Stolz regierte:[111]

So herrschte weder sie noch er.

Sie herrschten; aber bloß mit Bitten.

Sie stritten; aber wenn sie stritten,

Kam bloß ihr Streit aus Eintracht her.


So wie wir, eh' wir uns vermählen,

Uns unsre Fehler klug verhehlen,

Uns falsch aus Liebe hintergehn:

So ließen sich auch in den Zeiten

Der zärtlichsten Vertraulichkeiten

Sich nie die kleinsten Fehler sehn.


Der letzte Tag in ihrem Bunde,

Der letzte Kuß von ihrem Munde

Nahm wie der erste sie noch ein.

Sie starben. Wenn? – Wie kannst du fragen?

Acht Tage nach den Hochzeittagen;

Sonst würden dies nur Fabeln sein.

Quelle:
Christian Fürchtegott Gellert: Werke, Band 1, Frankfurt a.M. 1979, S. 111-112.
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