Kotill

[151] Kotill, der, wie es vielen geht,

Nicht wußte, was er machen sollte,

Und doch nicht müßig bleiben wollte;

Denn müßig gehn, wenn man's nicht recht versteht,

Ist schwerer, als man denken sollte:

Kotill ging also vor die Stadt

Und machte sich etwas zu schaffen.

Er ging und schlug im Gehen oft ein Rad[151]

»O!« schrie man, »seht den jungen Laffen,

Der den Verstand verloren hat!

Er macht die Hände gar zu Füßen.

Ihr Kinder zischt den Narren aus!«

Allein Kotill ließ sich dies alles nicht verdrießen.

Kurz, es gefiel ihm so, er ging vors Tor hinaus.

Man mochte, was man wollte, sagen,

Er fuhr doch fort, im Gehn sein Rad zu schlagen.


»Der Teufel! Seht, das war ein rechtes Rad!«

Fing endlich einer an zu fluchen.

»Ich möcht' es doch bald selbst versuchen!«

Er sagt' es kaum, als er's schon that.

»Nun«, sprach er, »seh' ich wohl, wieviel man Vorteil hat.

Es ist ganz hübsch um so ein Rad,

Denn man erspart sich viele Schritte.

Der Mann ist nicht so dumm, der es erfunden hat.«

Den Tag darauf kam schon der dritte

Und that es nach. Die Zahl vermehrte sich.

In kurzem sprach man schon gelinder;

Man fragte stark nach dem Erfinder

Und lobt' ihn endlich öffentlich.


Nimm alles vor, es sei so toll es will.

Heiß' anfangs närrisch, wie Kotill:

Dein Beifall ist drum nicht verloren.

Sei nur beherzt und spare keinen Fleiß!

Ein Tor find't allemal noch einen größern Toren,

Der seinen Wert zu schätzen weiß.

Quelle:
Christian Fürchtegott Gellert: Werke, Band 1, Frankfurt a.M. 1979, S. 151-152.
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