XVII
ZÜCHTIGUNG DES HOCHMUTS

[33] Zu jenen zeiten wo noch die gottesgelahrten

In wunderbarem gedeihn ihre grösse bewahrten –

Erzählt man – war einst ein Weiser vom höchsten rang

Der auch die herzen der lässigsten bezwang

Und sie erregte bis in ihre schwärzesten grüfte ..

Doch als er in die strahlen der himmlischen lüfte

Auf selber ihm fremden wegen gekommen war

Wohin sich nur schwinget der reinen geister schar:

Da sollte er wie ein mann der zu hoch sich verstiegen

Vom schwindel ergriffen satanischem hochmut erliegen:

›Du kleiner Jesus · wie weit habe ich dich gebracht!

Doch hätt ich am punkte dich anzugreifen gedacht

Wo auch du fehltest: so kehrte dein ruhm sich in schande ·

Du gältest als spöttische missgeburt nur im lande.‹[34]

Mit einemmal umnachtete sich sein verstand:

Ein schwarzer flor um die herrliche leuchte sich wand ·

Der wirrwarr begann in diesem kopfe zu rollen.

Im lebenden tempel dem stattlichen ordnungsvollen

Dess dächer umwölbte solche leuchtende pracht

Da sezte sich das schweigen fest und die nacht ·

So ist ein gewölbe zu dem man den schlüssel verloren.

Von nun an war er wie das vieh vor den toren ·

Und wenn er nichts hörend und sehend die fluren durchging ·

Nicht merkte ob sommer ihn oder winter umfing

Unbrauchbar und hässlich wie eine vernuzte sache

So ward er den kindern zur freude und zum gelache.

Quelle:
George, Stefan: Baudelaire. Gesamt-Ausgabe der Werke, Band 13/14, Berlin 1930, S. 33-35.
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