XXII
LOBLIED AUF DIE SCHÖNHEIT

[40] Entsteigst du dem himmel oder den nächtlichen schlünden ·

O schönheit? dein blick zugleich höllisch und göttlich rein

Giesst durcheinander die woltaten aus und die sünden –

Und deshalb magst du dem weine verglichen sein!


Du hast deinen blick vom morgen- und abendstrahle ·

Du schüttelst düfte wie eine gewitternacht ·

Dein kuss ist ein filter und dein mund eine schale

Die helden zu feiglingen · kinder zu tapferen macht.[41]


Enttauchst du dem abgrund oder entschwebst du den himmeln?

Der dämon folgt gefüg deiner zauberkraft –

Du lässest nach laune freude und unheil wimmeln

Du lenkest alles und nie gibst du rechenschaft.


Du trittst über tote · o schönheit · und höhnst unsre leiden ·

Die schrecknis ist dir ein schmuck der dich reizvoll umschmiegt ·

Der mord ist das liebste dir unter allen geschmeiden

Das schmeichelnd an deinem stolzen leibe sich wiegt.


Der falter flattert geblendet hinauf zu dir – kerze!

Er knistert und spricht verbrennend: ich segne dich licht!

Es beugt sich · ein sterbender der sein grabmal herze ·

Der liebende zuckend auf seiner geliebten gesicht.


Komm du nur aus himmel aus hölle · gleichviel welchen orten!

O schönheit bald maasslos erschrecklich und bald wie ein kind!

Erschliesst nur dein lächeln dein blick und dein fuss mir die pforten

Des alls das ich liebe die stets mir verschlossen sind!


Ob gott oder satan ob engel oder sirene:

Mach nur · samtäugige zauberin · dass nicht zu sehr

– O klang duft und licht! o herrin die ich ersehne! –

Die erde mir hässlich ist und der augenblick schwer!

Quelle:
George, Stefan: Baudelaire. Gesamt-Ausgabe der Werke, Band 13/14, Berlin 1930, S. 40-42.
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