ANFANG DES VIII. GESANGS · DIE BEIDEN ENGEL

[89] Die stunde wars wo denen auf den schiffen

Die sehnsucht kommt und sich ihr herz erweichet

Die heut der freunde hand zum abschied griffen ·


Die stunde wo der neue pilger schleichet

Voll liebe beim geläut der fernen glocken

Die weinen zu dem tage der erbleichet:[89]


Da liess ich das gehör auf einmal stocken

Damit mein auge eine seele fände

Die vortrat. ›Horchet‹ schien ihr wink zu locken.


Sie faltete und hob die beiden hände

Die augen hielt dem osten sie entgegen ·

Als sagte sie dass nichts als Gott sie bände.


›Te lucis ante‹ kam mit solchem segen

Ihr aus dem munde und so süss und leise

Dass fast mein geist versagte sich zu regen.


Ihr folgten in so süsser frommer weise

Mit diesem frommen lobgesang die scharen

Die augen richtend auf die hehren kreise.


Hier · Leser · schärfe deinen blick zum wahren!

Denn nun bekommt der schleier solche feine

Dass sicher leicht wird sein ihn zu durchfahren.


Ich sah wie jene adlige gemeine

Drauf schweigend schaute nach dem obern sitze

Als ob sie wartete in angst und kleine.[90]


Ich sah dann mit zwei schwertern hell wie blitze

Zwei engel von der höh hinunterschiessen ·

Doch war die waffe stumpf und ohne spitze.


Grün wie die blättchen die gerad entspriessen

War ihr gewand das sie von grüner schwinge

Durchbrochen in der luft nachflattern liessen.


Es schien dass DER zu haupt uns niederdringe

Und DER zum rande gegenüber fahre

Und zwischen ihnen stand das volk im ringe ..


Wol unterschied ich ihre blonden haare

Doch für ihr antlitz ward mein auge trübe

Da kraft nicht reicht für das zu wunderbare.


Fegefeuer · VIII. Gesang · 1–36[91]

Quelle:
George, Stefan: Dante. Die göttliche Komödie. Gesamt-Ausgabe der Werke, Band 10/11, Berlin 1932, S. 89-92.
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