ANRUF APOLLOS · AUFSTIEG IN DIE FEUERREGION

[156] Die glorie des bewegers aller dinge

Dringt durch das weltall und sie ist entglommen

Mehr in dem einen als im andern ringe.


Im himmel war ich der zumeist entnommen

Von Seinem licht und sah dort was verbreiten

Nicht darf noch kann wer von dorther gekommen.


Denn wenn wir höchstem ziele näher schreiten

Liegt unsre einsicht in so festem bande

Dass das gedächtnis nicht kann rückwärts gleiten.[156]


Fürwahr soviel vom glanz der heiligen lande

Noch in den schreinen meines geistes glühe

Mach ich zu meines liedes gegenstande ..


Apollo gütiger! zur lezten mühe

Gib dass ich so viel deiner kräfte fasse

Dass der geliebte lorbeer dann mir blühe!


Bislang braucht ich Ein joch nur vom Parnasse

Doch für die jetzo mir gezogne strecke

Bedarf ich beider eh ich ein mich lasse.


Dring nun in meinen busen und erwecke

Die töne wie einst in des Marsyas jahre

Als du ihn zogst aus seiner glieder decke!


O kraft des Herren! so viel mir bewahre

Dass sich vom seligen reiche nur ein schatte

In meinem haupt gebildet offenbare!


So sieh mich kommen zum begehrten blatte

Davon ich mich mit einer krone schmücke

Die deine gunst und die mein stoff verstatte![157]


Weil man nur selten · Vater · davon pflücke

Zu eines caesars oder dichters ehre ·

(Des menschlichen bestrebens schuld und lücke!)


So müsste es geschehen dass der hehre

Und frohe Delphier vor freude schwelle

Wenn einer des Peneios laub begehre.


Auf kleinen funken folgt oft grosse helle:

Vielleicht dass wer nach mir mit bessrem munde

So redet dass der gott sich ihm geselle. –


Den sterblichen entsteigt aus manchem schlunde

Die welten-leuchte · aber dem entrückend

Der mit drei Kreuzen einiget vier Runde


Ist sie von bessrem lauf und mehr beglückend

Mit ihrem sternbild · so im welten-thone

Mehr ihre art ein-schmeidigend und drückend.


Der stand bewirkte dass hier morgen wohne ·

Dort abend und fast völlig eine blanke

Halbkugel war und eine schwarze zone.[158]


Ich sah die Selige nach der linken flanke

Sich wendend mit dem blicke in die sonnen ..

Kein adler heftet ihn so ohne wanke.


Wie zweiter strahl im ersten hat begonnen

Und wieder in die höh kommt rückgesprungen –

So wie ein pilger umzudrehn gesonnen –


So liess ihr tun durch augen eingedrungen

In meinen geist das meine nach sich ziehen ..

Ich sah zur sonne wie mir's nie gelungen.


Vieles verleiht man hier was nicht verliehen

Wird unsren irdischen kräften · dank dem lande

Zum sitz der menschenkinder einst gediehen.


Nicht lang hielt ich sie aus · doch war im stande

Zu sehen dass sie ringsum flammen schlage

Wie glühend eisen · eben aus dem brande.


Da schien mit einemmal mir tag zu tage

Gefügt als ob durch die gewalt von oben

Der himmel eine zweite sonne trage.[159]


Der Seligen aug stand auf den ewigen globen

Fest ruhend · so wie fest die meinen ruhten

Auf ihr – vom obern glanze weggehoben.


Ihr anblick machte mich zum sogemuten

Wie einst den Glaukus als er ass vom kraute

Das ihn gesellt den göttern in den fluten.


Das übermenschlich-werden ist durch laute

Nicht fassbar · doch begnüge mit DEN proben

Sich einer bis durch gnade er es schaute.


Ward nur mein jüngst-erschaffnes teil enthoben?

Du weisst es · Liebe die die himmel lenket

Die du mit deinem licht mich zogst nach oben.


Himmel · I. Gesang · 1–75.[160]

Quelle:
George, Stefan: Dante. Die göttliche Komödie. Gesamt-Ausgabe der Werke, Band 10/11, Berlin 1932, S. 156-161.
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