BESCHEIDENHEIT IM WISSEN

[172] Und dies sei deinem fuss ein bleigewichte

Dass du · wie Müde · gehst mit sachtem tritte

Zum ja zum nein wenn unklar dein gesichte.


Der sizt zu unterst in der toren mitte

Der annimmt und verwirft ohn unterscheiden

Sowohl beim einen wie beim andern schritte.[172]


Denn mehr als einmal kommt es dass sich weiden

Des volkes meinungen an falschen tischen ..

Dann kann vernunft des triebes zwang nicht meiden.


Mehr als umsonst stösst ab vom strand – denn zwischen

Ausfahrt und rückkehr ändert er sich leise –

Wer kunst nicht hat und will das Wahre fischen.


Parmenides dient dafür zum beweise

Bryson Meliss und andre jedem richter:

Sie gingen · doch bedachten nicht die reise ..


So tat Sabell · so Arius · alle wichter

Die an die schriften traten mit der schneide

Um schief zu machen richtige gesichter.


Niemand soll traun dem eigenen entscheide

Zu sehr · wie er der zählte zum besitze

Im feld noch eh es reif war das getreide.


Einst stand den winter durch mir vorm antlitze

Der dornenbusch der wilde und verdorrte

Der später rosen trug auf seiner spitze ..[173]


Auch sah ich flink und nach dem rechten orte

Ein schiff das meer durchziehn die ganzen gleise

Und schliesslich untersinken nah dem porte.


Nicht glauben soll herr und frau Naseweise

Die diesen rauben sehn und jenen schenken

Dass darin Gottes ratschluss sich erweise


Da DER sich heben kann und DER sich senken.


Himmel · XIII. Gesang · 112–142.

Quelle:
George, Stefan: Dante. Die göttliche Komödie. Gesamt-Ausgabe der Werke, Band 10/11, Berlin 1932, S. 172-174.
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Dante. Die göttliche Komödie
Sämtliche Werke in 18 Bänden. Bd. 10/11: Dante - Die göttliche Komödie. Übertragungen