CACCIAGUIDA · VORAUSSAGE DER VERBANNUNG

[174] Hoch ragst du teures reis von gleichem rumpfe ·

Und wie es klar ist irdischem verstehen

Dass es in keinem dreieck gibt zwei stumpfe:


So siehst du alles fällige geschehen

Bevor es wird · indem du schaust zur mitte

Vor der als heutig alle zeiten stehen.[174]


Als noch Vergil begleitet meine schritte

Beim abstieg in verlorner welten plage

Und auf der rettbarn geister höhen-tritte:


Ward mir gesagt für meine künftigen tage

Manch lastend wort · weiss ich mich auch zur stelle

An allen ecken bei des schicksals schlage.


Drum wär mein wunsch dass sich vor mir erhelle

Was für verhängnisse mich überschweben ·

Denn der geschaute pfeil trifft minder schnelle ...


So sagt ich zu der leuchte die soeben

Mir sprach und dass ich meinen wunsch gestünde

War nach der Seligen willen zugegeben.


Es war nicht jene rätselvolle künde

Die frühres volk verstrickt in seinem wahne

Eh das Lamm Gottes wegnahm unsre sünde:


Es war bestimmte rede und das plane

Latein.. umringt und scheinend durch sein lichte

Erwiderte der liebevolle ahne:[175]


Der zufall über den sich die geschichte

Des menschen-daseins nicht hinausverbreitet

Ist ganz gemalt vorm ewigen gesichte.


Doch wird daraus ein zwang nicht abgeleitet

So wenig wie der blick der zuschaut störe

Das schiff das auf dem strome niedergleitet.


Von droben · so wie dringen zum gehöre

Von einer orgel süsse harmonieen ·

Dringt mir vors aug das los das dir gehöre.


Wie Hippolyt musst aus Athen entfliehen

Auf frevelhafter mutter falsche melde:

So aus Florenz ist dir bestimmt zu ziehen ..


Dies wünscht man und dies sucht man und in bälde

Wird zum ereignis werden was sie planen

Dort wo man Christum täglich schlägt zu gelde.


Es heftet an der Unterlegnen fahnen

Der brauch die schuld auch hier.. doch wer gelogen

Daran wird spätres zeugnis rächend mahnen.[176]


Ein jedes teure ding wird dir entzogen

Das dir zunächst war – dieser pfeil entfalle

Zuerst auf dich aus der verbannung bogen!


Du musst empfinden wie sehr schmeckt nach galle

Das brot der fremden und wie schwere gänge

Aufstieg und abstieg sind in fremder halle.


Doch was am meisten deine schultern zwänge

Ist jene schar sinnloser bösewichte

Mit denen du entsinkst dort im gedränge.


Die ganz auf frevel undank wahn erpichte

Wird dir entgegenstehen · doch beizeiten

Wird rot darüber ihr nicht dein gesichte.


Ihr weitres tun wird ihrer schnödigkeiten

Beweis sein.. und dir rechnet man zum siege

Dass du gestanden hast auf eigner seiten.


Dein erstes schutzdach' deine erste liege

Gewährt dir freundlich der lombardische Grosse

Der einen adler führt auf einer stiege.[177]


Sein haus wird dir zu solchem gütigen schoosse

Dass bei euch zwein im geben und verlangen

Sogleich geschieht was sonst erst nach dem stosse


Daselbst wirst du Ihn sehn der es empfangen

Bei der geburt von Diesem tapfern sterne

Dass seine werke werden ruhm erlangen ·


Doch nicht dass sie die welt schon kennen lerne ..

Die hohe kugel hat erst seit neun jahren

Um ihn gedreht · so ist sein tag noch ferne.


Doch eh der hohe Heinrich hat erfahren

Des Basken trug – wird seine tugend funkeln

Indem er gold nicht-achtet noch gefahren.


Mit seinem glanze wird er aus dem dunkeln

Vorbrechen eines tages dass dem hasse

Sogar nichts übrigbleibt als davon munkeln.


Auf ihn und seine reichen spenden passe!

Durch ihn wird wechsel sein in manchem gaue

Und tausch von dem der darbe und der prasse.[178]


Schreib in den geist dir was ich dir vertraue

Von ihm · doch sag es nicht!.. und er sprach dinge

Unglaubliche für den der einst sie schaue.


Dann fügt er zu: Mein sohn · erläutrung bringe

Dir dies zum jüngst gesagten.. DIE unglücke

Sind es – verdeckt durch wenig zeitenringe.


Doch will ich nicht dass auf dein mitvolk drücke

Dein hass.. denn in die zukunft ragt dein leben

Weiter als die bestrafung ihrer tücke.


Als schweigend drauf zufrieden sich gegeben

Die heilige seele die den einschlag machte

Zum tuch das ich vor ihr anhub zu weben:


Begann ich wie nach längerem bedachte

Sich einer rats erholt bei einem zweiten

Der liebt · der strebt mit richtigem betrachte:


Ich sehe · vater · auf mich los schon reiten

Die zeit · dass sie mit ihrem hieb mich dränge

Der meist trifft den am meisten unbereiten.[179]


Darum ist vorsicht gut für meine gänge

Dass ich nicht · von dem liebsten ort verschlagen ·

Noch andre missen muss durch meine sänge.


Tief unten in der welt endloser plagen

Und auf dem berg von dessen höchster ferne

Die augen meiner Herrin mich getragen:


Und dann am himmel hin von stern zu sterne

Erfuhr ich manches · das wenn ichs gestalte

Für viele schmack wird haben bittrer kerne.


Und wenn ich schwank nur mich ans wahre halte

So fürcht ich: ich verlier in Jener bilde

Die unsre zeit bezeichnen als die alte.


Das licht drin mein gefundner hort hier milde

Erglänzte · ward zuerst zu voller lohe

So wie der sonnenstrahl auf goldnem schilde


Und sprach darauf: Wem das gewissen drohe

Mit eigner oder fremder schande drucke:

Empfindet deine worte wohl als rohe.[180]


Dem ungeachtet halt dich frei von schmucke

Und ganz eröffne das von dir geschaute ·

Lass es geschehn dass wen es beisst sich jucke!


Wenn auch beschwerlich werden deine laute

Beim ersten kosten · wird lebendige zehrung

Man draus entnehmen wenn man sie verdaute.


Dem sturmwind gleich tut diese deine lehrung

Dass meist sie rüttelt an den höchsten spitzen ..

Und dies ist kein geringer grund zur ehrung.


Drum wurden dir gezeigt auf unsren sitzen

Und auf dem Berg und in dem Tal der Sorgen

Nur solche seelen deren namen blitzen.


Der geist der aufnimmt würde sich nicht sorgen

Noch glauben wenn man ihm ein beispiel male

Von einem ursprung namlos und verborgen


Und einen gegenstand der nicht erstrahle.


Himmel · XVII. Gesang · 13–142.[181]

Quelle:
George, Stefan: Dante. Die göttliche Komödie. Gesamt-Ausgabe der Werke, Band 10/11, Berlin 1932, S. 174-182.
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