DIE HIMMELSROSE · ABSCHIED DER SELIGEN

[198] In einer lichten rose form erschaute

Ich also die geweihten himmelsheere

Mit seinem blut des Heilands angetraute.


Doch andre fliegend sangen von der ehre

Dess der durch seine gluten sie entzündet

Und von der güte die so viel beschere.[198]


Wie bei den bienen: dieser schwarm ergründet

Der blüten kelche und ein andrer eilet

Zum ort der sie zum süssen werk verbündet:


So zu der grossen blume die sich teilet

In solche blätter sanken sie und flohen

Zurück wo ihre stete liebe weilet.


Ihr aller antlitz war ein helles lohen ·

Ihr flügel gold und eine solche weisse

Um sie wie nie beim schnee dem noch so hohen.


Zur blume nieder reichten sie die heisse

Verehrung und die himmelsruh und hoben

In jeden kreis sie mit der schwingen fleisse.


Und schien auch von der blume bis nach oben

Die zahl der fliegenden zu überschwemmen:

Nie ward das bild und seine pracht verschoben.


Denn Gottes strahlen lassen sich nicht hemmen

Durchs weltall · wo es würdig ist · zu reichen

Und ihnen kann sich nichts entgegenstemmen.[199]


In diesen sichern jubelnden bereichen

Voll völkern früher oder später stelle

Ist herz und auge nur in Einem zeichen.


O Dreifach Licht! das du in Einer helle

Erstrahlst vor diesen · so sie zu begnaden ·

O schau herab auf unsre wilde welle!


Wenn die Barbaren kamen von gestaden

Die täglich unterm stern der Nymfe schauern

Die mit dem sohne kreist auf gleichen pfaden ·


Und Rom erblickten mit den stolzen mauern

Und vor dem Lateran in staunen stunden

Der trotz beut allen menschlichen erbauern:


Ich der von zeit zu ewigem mich gefunden

Zu gottgearteten von menschendingen

Und von Florenz zu Richtigen und Gesunden:


Wie musst ich in verwunderung hier schwingen!

Ich wollte zwischen dieser und dem glücke

Nichts hörend und verstummt die zeit verbringen.[200]


Und einem pilgrim gleich den es entzücke

In des gelübdes tempel um sich sehend

Wie er erzählen wird · kehrt er zurücke ·


So im lebendigen lichte mich ergehend

Entsandt ich meinen blick zu allen sprossen

Bald auf bald ab bald nach den seiten drehend.


Ich sah gesichter lieb- und glanzumgossen

Vom Licht und eigner lust · in jeder weise

Von zierde und von würdigkeit umflossen.


Die allgemeine form vom paradeise

Hatt ich mit meinen blicken schon umründet

Jedoch gehaftet noch auf keinem kreise.


Ich wandte mich mit wünschen neu-entzündet

Um das bei meiner Herrin zu erkunden

Was ich in meinem geist noch nicht ergründet.


Eins sucht ich und hab anderes gefunden:

Anstatt vor Jhr stand ich vor einem greise

Gehüllt ins kleid der ruhmesvollen runden.[201]


Es breitete sich aus in frommer weise

Gütige freude auf gesicht und wange

Wie man's bei zartbesorgtem vater preise.


Und sie? wo ist sie? sprach ich wie im zwange ..

Drauf er: Dir deiner wünsche ziel zu zeigen

Rief mich die Selige her aus meinem range.


Und wenn du aufwärts blickst zum dritten reigen

Des höchsten grads wirst du sie wieder schauen

Im thron der ihr durch ihr verdienst ist eigen ...


Ohn antwort richtet ich auf sie die brauen

Und sah sie um sich bilden eine krone

Die spiegelte den glanz der ewigen auen.


Unmöglich dass zu höchster donnerzone

Ein auge sich mit solchem abstand richte

Auch wenn es in den tiefsten meeren wohne:


Als bis zur Seligen mein angesichte.

Doch es verschlug hier nichts · da ihre züge

Zu mir herdrangen ohne zwischenschichte.[202]


›O Frau an die ich meine hoffnung füge ·

Die für mein wohl gewirkt in solchem grade

Dass du zur hölle lenktest deine flüge:


Bei dem was ich gesehn durch alle pfade ·

Von deiner macht und deiner gütigen waltung

Erkenne ich die fülle und die gnade.


Du zogst aus knechtschaft mich in freie haltung

Durch alle bahnen · alle nach der reihe ·

Wie du gekonnt durch deine macht-entfaltung.


Dein spende-mut auch fürder mir gedeihe

Dass meine seele heil durch deine helle

Dir angenehm vom körper sich befreie.‹


So betet ich. Und sie · von ferner stelle ·

Wie es erschien · sich lächelnd zu mir wandte

Und kehrte dann zurück zur Ewigen Quelle.


Der heilige greis sprach: Damit ans erkannte

Ziel du gelangest bis zur höchsten spitze

Wozu gebet und heilige liebe sandte:[203]


Flieg mit dem blick durch diese freudensitze!

Denn sie erblicken hebt dein aug mit neuer

Gewalt empor zum göttlichen geblitze.


Die Himmelskönigin für die im feuer

Der liebe ganz ich glühe · wird uns helfen

Voll huld · denn ich bin Bernhard ihr getreuer.


Himmel · XXXI. Gesang · 1–102.

Quelle:
George, Stefan: Dante. Die göttliche Komödie. Gesamt-Ausgabe der Werke, Band 10/11, Berlin 1932, S. 198-204.
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