DIE VERIRRUNG IM WALD · ERSCHEINUNG DES VERGIL

[8] Es war inmitten unsres wegs im leben ·

Ich wandelte dahin durch finstre bäume

Da ich die rechte strasse aufgegeben.


Wie schwer ist reden über diese räume

Und diesen wald · den wilden rauhen herben ..

Sie füllen noch mit schrecken meine träume.


So schlimm sind sie dass wenig mehr ist sterben.

Doch schildr ich alle dinge die mir nahten

Ob jenes guts das dort war zu erwerben.


Ich weiss nicht recht mehr wie ich hingeraten.

So war ich voller schlaf um diese stunde

Dass sich mir falsche wege offentaten.


Nun angelangt an eines hügels grunde –

Er war die grenze eben jener klamme

Wo angst das herz mir traf mit einer wunde –[8]


Sah ich hinauf und schaute auf dem kamme

Die strahlen schon sich breiten des planeten

Der uns zum ziele führt auf jedem damme ..


So dass die ängste etwas mir verwehten

Die auf dem see des herzens hingeflogen

Die nacht die ich verbrachte so betreten.


Und wie ein mann der sich herausgezogen

Schwer-atmend an das ufer aus den riffen

Und umdreht nach den fährlich wüsten wogen:


So wandte sich mein geist im fliehn begriffen

Noch einmal rückwärts um die bahn zu schauen

Die nimmermehr lebendige durchschiffen.


Dem müden leib gab rast ein neu vertrauen

Und stets den festen fuss an tiefrer stelle

Trug ich mich weiter durch das land voll grauen.


Und sieh · da kam fast an der höhe schwelle

Des wegs ein Pardel leicht und sehr behände ..

Der war bekleidet mit geflecktem felle.[9]


Vor meinem blicke schweift' er ohne ende

Ja hinderte mich so auf meinem pfade

Dass ich mich wenden wollt an mancher wende.


Die zeit der morgendämmrung war gerade ..

Die sonne stieg von dem gestirn umfahren

Das mit ihr ging als durch die Ewige Gnade


Erstmalig jene schönen dinge waren –

So dass ich hoffen konnt aus gutem grunde

Ob jenes tieres mit den bunten haaren ·


Der süssen zeit des jahres und der stunde ..

Doch so nicht dass nicht neue angst mich spannte

Als sich ein Löwe zeigte in der runde.


Es schien mir dass er mir entgegenrannte

Mit hohem haupt und hungerwütigem stieren

So sehr dass er die luft vor schrecken bannte ..


Und eine Wölfin die mit allen gieren

Beladen war trotz ihrer magren knochen

Und die viel volk schon liess sein glück verlieren.[10]


Den schreck mit dem ihr anblick machte pochen

Ward ich mit solcherlei beschwernis inne

Dass mir des aufstiegs hoffnung war zerbrochen.


Und so wie einer strebend nach gewinne

Beim nahn der stunde die ihn nicht gestattet

Sich härmt und weint in seinem ganzen sinne:


So ging mirs mit dem tier das unermattet

Zukam auf mich um mich zurückzuschieben

Schritt hinter schritt zur gegend wo es schattet.


Da ich so stand an niedren ort vertrieben

Hat meinem blick sich Einer dargeboten

Der schien durchs lange schweigen stumm geblieben.


Ich sah im grossen ödland diesen boten ..

Erbarm dich meiner! rief ich zu ihm bange ·

Seist heiler mensch du · seist du von den toten.


Er gab zurück: Kein mensch · mensch WAR ich lange

Und meine ältern Mantuaner städter

Mit namen beide von lombardischem klange.[11]


Ich kam zur welt SUB JULIO · doch als Später ..

Ich lebt in Rom an des Augustus throne

Als man für götter hielt der lüge väter.


Ich war ein dichter und vom frommen sohne

Anchises' sang ich – jener nach dem falle

Des stolzen Ilion aus der stadt entflohne.


Doch warum kehrst du um zum untern walle

Und klimmst nicht auf zum schönen bergeshorne ·

Ursach und anfang für die freuden alle?


›So bist du der Vergil aus dessen borne

Entflossen ist des worts so weite welle?‹

Fragt ich und bog beschämt den kopf nach vorne.


O du der andern dichter ruhm und helle!

Nun lohne grosse lieb und tief versenken

Mit denen lang dein buch war mein geselle.


Du Meister mir und Stab um mich zu lenken

Du bist der einzige dem ich entnommen

Den schönen stil dess rühmend sie gedenken!


Hölle · I. Gesang · 1–87.[12]

Quelle:
George, Stefan: Dante. Die göttliche Komödie. Gesamt-Ausgabe der Werke, Band 10/11, Berlin 1932, S. 8-13.
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